Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
zu viele Filme mit Hackern geguckt. So was kannst du nicht tun. Du bist ein einfacher, kleiner Computerfreak und vermutlich ein bisschen wahnsinnig obendrein.« Pohlmann band sich den Zopf neu zusammen und erhob sich von seinem Stuhl. Jetzt riss ihm endgültig der Geduldsfaden. »Ich geh jetzt. Ich glaub, es war ein Fehler, mich auf dich einzulassen. Du hast nicht mehr alle Latten am Zaun.«
Jerome zog die Knie zu sich heran und rieb sich mit dem Handrücken die Augen wie ein Junge kurz nach dem Aufwachen. Mühsam rappelte er sich auf.
»Vertrau mir«, sagte er mit brüchiger Stimme. »Ich werde es dir beweisen. Dann wirst du mir glauben. Schau heute Abend auf dein Konto. Dann wirst du nicht mehr an mir zweifeln.«
Pohlmann betrachtete den Mann, der sich Jerome nannte, und sah ihn tatsächlich weinen. Stille Tränen rannen an seinen Wangen herab. Den Kopf hielt er gesenkt.
Kann man so etwas spielen?, dachte Pohlmann. Auf Kommando losheulen? Er wusste es nicht und wollte es auch nicht wissen. Vollkommen unbewandert in Dingen der Geisteskrankheiten, fühlte er sich hilflos, ratlos und müde. »Ich will jetzt gehen.«
Jerome hob den Kopf und starrte Martin an. Die Tränen waren verschwunden, wenn es denn tatsächlich welche gegeben hatte. Seine betrübte Stimmung hatte sich von einer Sekunde auf die nächste gewandelt. Nun erschien er in der Rolle eines hartgesottenen Strategen, eines Kosmopoliten, der Pohlmann mit der Hand an der Schulter festhielt.
»Ich kann dich nicht einfach gehen lassen, das verstehst du doch. Du wüsstest, wo ich wohne, könntest mich verpfeifen bei deinen Kumpels im Revier.« Jerome nahm die Hand wieder von Martin und verschränkte die Arme vor der Brust. Er zwinkerte, zuckte und verlor seine Körperspannung. Eine neue Persönlichkeit gewann die Oberhand. »Aber das machst du nicht, oder? Mich verpfeifen, den guten Jerome? Wir sind doch jetzt Freunde, nicht? Das machst du nicht, oder?« Jerome sprach mit hoher Stimmlage, schniefte und schuf die perfekte Illusion eines fünfzehnjährigen Jungen.
»Hör zu, Mann. Ich weiß nicht, wer oder was du bist. Dass du ziemlich schräg bist, ist wohl kein Geheimnis, und dass du Ahnung von Technik hast, ist auch klar. Aber die Nummer, die du mir gerade auftischen wolltest, ist definitiv zu groß für mich. Ich muss erst mal hier raus. Dann sehen wir weiter.«
Jerome straffte seinen Rücken, sprach nun mit tiefer, rauchiger Stimme wie Robert de Niro: »Du gehst, wie du gekommen bist, und zwar mit mir. Ich bringe dich, ist das klar? Mit verbundenen Augen oder gar nicht.«
Kapitel 23
Juni 2011, Lüneburg
Während der Fahrt von Jeromes Versteck zurück nach Lüneburg klopfte Martins Herz bis zum Hals. Auf der Zunge verweilte der säuerliche Geschmack nach Bier. Vergorene Reste an adrenalin-getrocknetem Gaumen, er sehnte sich nach einer Zigarette. Er atmete mit kurzen und zu schnellen Luftzügen unter dem ihm Ekel einflößenden Jutesack. Etwas wie Panik stieg in ihm auf. Es hätte nicht viel gefehlt und er hätte, als der Wagen an einer Ampel hielt, die Tür aufgedrückt und wäre rausgesprungen, doch er riss sich zusammen. Ohnehin hätte er sie nicht öffnen können. Ein spezieller, von Jerome installierter Mechanismus verhinderte dies.
Was er hier gerade erlebte, war zu grotesk, zu absurd, um es überhaupt jemandem erzählen zu können. Nicht Werner, nicht Lorenz und erst recht nicht Catherine. Ein Bulle der Mordkommission lässt sich von einem verwirrten Chamäleon in einen stinkenden Jutesack einknüpfen, damit jener unter verschiedenen Namen, eingebettet in verschiedene Identitäten, unbehelligt seine Paranoia ausleben konnte. Wer zahlte für ihn den Strom, das Wasser, die Grundsteuer? Wem zahlte Jerome überhaupt etwas?
Steuern? Existierte dieser Begriff für Jerome? Oder bestahl er andere? Die Mächtigen und Reichen? War er ein moderner Robin Hood? Nie zuvor hatte Martin einen derart durchgeknallten Mann kennengelernt und etwas in seinem Inneren sagte ihm, er solle sich zurückziehen von dem Journalisten, ihn einfach vergessen, ihn Werner überlassen, doch eine andere Regung fühlte sich zu ihm hingezogen. Jerome versprach ihm Erkenntnisse in diesem undurchsichtigen Fall, obwohl alles bisher recht dürftig war, was er erhalten hatte, zumindest, was die Beweise betraf. Anschuldigungen indes gab es reichlich.
Verständlich, wenn man bedachte, dass man einem Fremden nicht alles in den ersten Stunden einer Begegnung vor die Füße warf.
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