Schattenmelodie
nicht, was du redest, Ferdynant. Du musst zu einem Arzt.‘
Ich bin in mein Bett geflüchtet und habe geweint. Von dem Tag an hatte ich furchtbare Angst vor meinem Vater, aber ich habe mich auch nicht getraut, meiner Oma zu sagen, was ich mit angehört hatte.“
„Ich glaube, er hätte dir nichts getan.“
Ich zuckte mit den Schultern. „Vielleicht. Ein paar Wochen später ist er dann verschwunden.“
„Und du hast später nie mit deiner Oma darüber geredet?“
„Ich habe es weggeschoben. Es ging ganz gut, bis auf die Träume. Immer wieder kam mein Vater in ihnen nachts zu mir und stand an meinem Bett, und ich bin hochgeschreckt und aus dem Zimmer geflüchtet, zu meiner Oma ins Bett. Sie glaubte, ich hätte schlecht geträumt. Und das stimmte ja auch.“
„Aber warum hast du ihr nie gesagt, was der Grund für deine Träume war?“
„Ich war schuld am Verschwinden meines Vaters. Wie sollte ich ihr erklären, dass ich das wusste? Sie hat meinem Vater nicht geglaubt und sie hätte auch mir nicht geglaubt. Und ich wollte nicht, dass sie mich zum Arzt schickt, wie meinen Vater.“
„Verstehe.“
Wir blickten eine Weile schweigend in die Flammen, die immer kleiner wurden. Ich fühlte mich wie ausgewrungen von meiner Beichte und gleichzeitig so, als hätte mir jemand eine jahrelange Last von meinen Schultern genommen.
„Hast du später versucht, von deiner Oma mehr über deinen Vater und deine Mutter zu erfahren?“
„Ja, das habe ich. Ungeschickt, wie Kinder es eben tun. Sie antwortete jedes Mal, dass ich ein Wunschkind war und meine Eltern ein glückliches Liebespaar, bis das Unglück geschah. Meine Mutter sei jetzt im Himmel, es ginge ihr dort gut, und man müsse den Dingen ihren Lauf lassen. Und auch mein Vater habe den einzig richtigen Weg für sich gefunden. Sie wären im Himmel wieder vereint und bestimmt glücklich und würden auf mich herabschauen und mich beschützen. Meine Oma war sehr fromm. Sie ging jeden Sonntag in die Kirche. Sie erklärte mir, dass man das Leben nehmen sollte, wie es ist, und erinnerte mich daran, dass wir uns hatten. Und darauf kam es schließlich an.
Wir unternahmen viel zusammen, Ausflüge, Wanderungen. Aber wir hatten ein unausgesprochenes Abkommen – Wir gingen nie an einen See schwimmen.“
„Glaubst du, dass dein Vater gestorben ist?“
Ich sah Janus an. Die Frage irritierte mich.
„Ja. Ich denke, er hat sich das Leben genommen. Es gab ja sonst niemanden, zu dem er hingekonnt hätte. Seine Eltern lebten nicht mehr. Wir bekamen nie Besuch. Ich glaube, er war ein ziemlicher Einzelgänger.“
Janus stand plötzlich auf. „Auch wenn das jetzt alles noch mehr aufwühlt. Aber … Ich glaube nicht, dass er sich das Leben genommen hat.“ Janus lief unruhig im Raum hin und her und fuhr sich durchs Haar.
Ich starrte ihn an. „Wie meinst du das?“
„Ich habe so einen Verdacht … Es gibt da eine Geschichte, die seltsam zu deiner Geschichte passt. Aber … wie soll ich es sagen? Wenn sich meine Vermutung als falsch herausstellt, dann … du sollst keine falschen Hoffnungen haben.“
„Was für einen Verdacht?“ Ich stand auch auf und begriff überhaupt nichts.
Janus blieb vor mir stehen.
„Hör zu, Neve. Ein Freund von mir an der magischen Akademie in Danzig kennt einen Einsiedler in den Masuren, der … dein Vater sein könnte.“
„Mein Vater?“ Das klang absurd und völlig unrealistisch. Ich schüttelte verneinend den Kopf. „Mein Vater ist nicht nach Polen zurückgekehrt. Das ist ausgeschlossen. Davon hätten wir erfahren. Dann hätte er sich irgendwann wieder gemeldet. Ein Brief. Irgendwas. Verwandte oder Bekannte hätten von ihm gewusst. Nein, das kann nicht sein.“
„Du verstehst nicht, Neve. Hör mir zu. Setz dich.“
Janus nahm mich an den Armen, drückte mich wieder auf das Sofa und hockte sich vor mich.
„Dieser Freund, Finn heißt er, hat sich um den Mann in den Masuren gekümmert. Ein Gelöschter mit dem Element Erde.“
„Ein Gelöschter? Was hatte er getan? Jemanden umge…“ Ich verstummte. Wollte Janus mir etwa sagen, dass mein Vater magisch begabt war und wegen Mord … Aber das war doch …
„Nein, nein, nicht wegen Mord. Er hat um die Löschung gebeten und man hat sie ihm gewährt.“
„Er hat sich freiwillig löschen lassen? Aber warum denn das?“
„Weil er vergessen wollte. Er wollte seine Geschichte vergessen, sein Leben, alles und ohne Erinnerungen in Frieden leben. Im Wald, in den Masuren, dort, wo er sich zu
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