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Schattenmelodie

Schattenmelodie

Titel: Schattenmelodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Unruh
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hörte damit auf und sah ihn an: „Wenn jemand zu Ihnen sagt, dass er Sie mag, glauben Sie dann, er liebt Sie?“
    Mir war es egal, ob er mich für verrückt hielt, weil ich ihm so eine Frage stellte. Der Mann zögerte und sah mich skeptisch an. Aber dann entschied er sich, mir eine Antwort zu geben. „Öh, nein.“ Er zog einen Schlüssel aus seiner Tasche. „Aber könnten Sie mir bitte etwas Platz machen, damit ich die Tür aufschließen kann?“
    Ich rutschte ein Stückchen. Er schloss die Tür auf und verschwand im Haus.
    Hatte Janus vielleicht doch nicht verstanden, was ich ihm sagen wollte? Doch, er musste es verstanden haben. Sonst hätte er nicht von „Zusammensein“ gesprochen. Und: Langsam machte das Negative, das ich aus seiner Reaktion gezogen hatte, dem Positiven Platz. Janus hatte doch gar nicht gesagt, dass er mich nicht wollte. Im Gegenteil, er hatte deutlich gemacht, dass er alle Neves wollte, die jetzige, die vergangene und die zukünftige. Alle oder keine. Ich rieb mir die Stirn und dachte an Ranja. Sie rannte auch nicht weg vor ihrer Geschichte, obwohl alles fünfhundert Jahre her war. Sie lebte mit ihr, akzeptierte sie als einen Teil von sich. Und mir wurde klar, dass sie genau deshalb so stark auf mich wirkte.
    Okay, Neve, hör endlich auf, vor dir selbst wegzulaufen, jetzt ist der richtige Moment und der kommt nicht noch mal wieder, befahl ich mir.
    Ich erhob mich und lief langsam zurück. Ein paar Minuten später bog ich erneut in die Durchfahrt zu Janus ein. Durch die Fensterscheiben sah ich, dass er auf dem Sofa saß, ins Feuer starrte und dabei nervös mit dem Fuß wippte. Die Tür zum Laden stand offen, sodass die Klingel mich nicht verriet.
    Er bemerkte mich erst, als ich mich neben ihn setzte und auch ins Feuer starrte. Ich hoffte, dass er sich nicht zu mir drehte, damit es einfacher würde. Er tat es nicht, und dann begann ich zu erzählen.
     

Kapitel 43
     
    „Meine Mutter ist gestorben, als ich ein Jahr alt war; mein Vater, als ich acht und meine Oma, als ich fünfzehn war. Geschwister habe ich nicht und auch keine Verwandten. Niemanden also, der mich im Krankenhaus hätte besuchen können.“
    Janus rührte sich kein bisschen neben mir, als fürchtete er, dass mich auch nur ein Wimpernzucken wieder verstummen lassen oder erneut in die Flucht schlagen könnte.
    „Es tut mir leid, dass ich vorhin so überreagiert habe, das war nicht fair“, sagte er mit belegter Stimme. „Du hast mir dein Herz offengelegt und ich bin darauf getreten – weil ich wütend war, weil ich nicht wusste, was ich noch tun soll, um dich zu erreichen. Weil …“
    „Psst“, machte ich und fuhr fort: „Als meine Mutter starb, versank mein Vater in völlige Sprachlosigkeit und Depression. Sieben Jahre später ging er wie jeden Tag in den Wald, aber kam nicht mehr wieder.
    Von da lebte ich allein mit meiner Großmutter – der Mutter meiner Mutter – in dem großen alten Forsthaus. Die Jahre mit meiner Oma waren unbeschwerter als die Zeit, in der mein Vater noch gelebt hat – bis zu jener schrecklichen Nacht, kurz nachdem ich fünfzehn geworden war.“
    Ich machte eine kleine Pause. Janus saß, die Schultern ein wenig nach vorne gebeugt, neben mir und beobachtete unbeirrt das Feuer.
    „Als Kind war ich oft nachts hochgeschreckt und in das Zimmer meiner Oma gelaufen. Jedes Mal fuhr sie aus dem Schlaf hoch und sagte: ‚Kind, hast du mich erschreckt. Du bringst mich damit noch ins Grab!‘ Sie machte ein Gesicht, als sei sie vom Donner gerührt worden, aber kurz darauf lächelte sie, winkte mich heran und ich durfte mich in ihr warmes großes Bett kuscheln.
    Als ich älter wurde, ging ich nachts seltener zu ihr. Aber in dieser Nacht – irgendetwas weckte mich. Ich stand auf und lief über den dunklen, kalten Flur. Das Knarren ihrer Zimmertür war mit den Jahren stärker geworden. Doch diesmal fuhr sie nicht hoch wie sonst. Sie blieb einfach liegen und rührte sich nicht. Nie mehr. Ich war mir sicher, dass ich den einzigen Menschen, den ich hatte, diesmal wirklich zu Tode erschreckt hatte.“
    Mein Atem ging schnell. Auf einmal spürte ich Janus’ Hand auf meinem Arm. Ganz vorsichtig hatte er sie dort hingelegt. Es beruhigte mich und meine Atmung normalisierte sich wieder. Jetzt einfach weitererzählen, ermahnte ich mich.
    „Ich war nicht fähig, die Realität an mich heranzulassen. Stattdessen ergriff mich eine fixe Idee und nahm mein ganzes Denken ein. Ich flüchtete aus dem Haus, rannte in

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