Schattenmelodie
auch verschwunden ist.“
Tato lag auf dem moosigen Boden der Lichtung und schien nach wie vor nicht bei Bewusstsein zu sein.
Jolly atmete tief aus. „Ich bringe diesen Mann zu Doktor Labot ins Krankenhaus Neukölln.“
Die Ratsmitglieder nickten. Dann wandte er sich an Kira: „Unterrichte bitte Pio, dass er die Gegebenheiten in der magischen Blase prüfen soll, ob sich alles normalisiert oder ob wir weiterhin Probleme haben.“
„Das werde ich.“
Hinter uns tauchten drei Studenten auf, die einen ziemlich verwirrten Eindruck machten. Das waren doch Kay, Jonas und Marie aus Kiras Ausbildungsjahr. Es stellte sich heraus, dass sie ebenfalls durch eine Reise in die Wüstenstadt gelangt waren und bald hatten entdecken müssen, dass sie keinen Weg zurück finden konnten. Kira erklärte ihnen, was geschehen war. Marie weinte. Sie war nach ihrem Zeitempfinden bereits Tage in der Wüstenstadt gefangen gewesen und die ganze Zeit alleine umhergeirrt, während sie an der Akademie überhaupt noch niemand vermisst hatte. Tatos Wunschort hatte also auch die Zeit verzerrt.
„Gibt es Hinweise auf den Aufenthaltsort von Haruto Tanaka? So etwas wie briefliche Mitteilungen an die neuen Mieter, eine Büroadresse oder Ähnliches?“, wandte sich Ranja an mich.
„Ja, er hat Drohbriefe an die Bewohner geschickt. Einige davon liegen zerknüllt im Hausflur. Sie müssten einen Absender enthalten.“
„Dann werde ich mich auf die Suche nach dem echten Haruto Tanaka machen.“
Kim und Marco beschlossen, sie zu begleiten.
Alle sahen zu, wie Jolly sich in eine Säule aus hellem Qualm verwandelte und Kouki Tato vollständig in sich einhüllte. Dann stieg die Säule über die Baumwipfel auf und verschwand.
Ich beobachtete, wie Kira ängstlich mit den Augen zuckte. Wahrscheinlich, weil es sie an die Rauchschatten erinnerte, mit denen ihr der magische Bund um Jerome zugesetzt hatte. Der Rat hatte sich diese lang vergessene Technik zu eigen gemacht, sie aber ein wenig abgewandelt. Der Qualm, mit dem man normale Menschen zwischen den Welten hin- und herbringen konnte, war jetzt weiß und geruchlos und nicht mehr schwarz und furchtbar stinkend.
„Und wir?“, fragte Janus.
Zur Antwort meldete sich mein Magen mit einem lauten Grummeln. „Ich habe furchtbaren Hunger“, sagte ich und dachte an die Hefezöpfe von Else.
„Wie wär’s mit dem Akademiecafé?“, schlug Kira vor.
Im Akademie-Café scharrten sich sofort alle Studenten um uns und wollten wissen, was geschehen war. Gebannt lauschten sie unserem Bericht. Else erfüllte mir sogleich meinen Herzenswunsch und buk einen riesigen Hefezopf, den sie mit einem Fass leuchtendgelber Butter servierte.
Ich erfuhr, dass Kira sich genauso verreist hatte wie wir und dadurch in Tatos Wüstenstadt gelangt war. Sie hatte in einem Reiseseminar ihre erste Reise versucht. Es stellte sich als Glück heraus, dass dies Kira geschehen war, weil sie in der Lage war, die Mitglieder des Rates via Quantenkommunikation sofort zu informieren.
Zuerst gaben sie den Bewohnern der magischen Blase die Instruktion, ihre Häuser oder die Akademie nicht zu verlassen und weder in die reale Welt noch in irgendeine andere magische Blase zu reisen. Dann traten sie die gleiche Reise an wie Kira und landeten ebenfalls in Tatos Wunschblase.
„So wären wohl alle nach und nach in die Wüstenstadt gelangt“, überlegte ich.
„Und die, die nicht gereist wären?“, fragte Jonas. „Hätten sie sich retten können, wenn der magische Wald in sich zusammengefallen wäre?“ Am Tisch wurde es still. Alle ahnten die Antwort. Wer sich zu dem Zeitpunkt noch in der magischen Blase von Berlin aufgehalten hätte, für den hätte es wohl keine Rettung mehr gegeben.
„Aber wenn du sagst, es gab nur einen Wasserdurchgang, was wäre dann mit den anderen Elementen passiert? Wären sie nie wieder aus der Wüstenstadt entkommen?“, Maries Stimme zitterte bei dieser Frage.
„Es ist immer noch unklar, wie der Wasserdurchgang überhaupt entstehen konnte. Deshalb kann niemand sagen, ob sich weitere Durchgänge für andere Elemente entwickelt hätten“, antwortete Kira.
„Wie auch immer, es ist noch mal gut gegangen“, schaltete Else sich ein und stellte eine riesige Schüssel rote Grütze mit Vanillesoße auf den Tisch. „Wenn jeder seine Aufgabe ernst nimmt, die ihm das Schicksal zugedacht hat, wird es auch in Zukunft gut gehen.“ Sie lächelte in die Runde und die gedrückte Stimmung am Tisch löste
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