Schattenmelodie
haben sie das gemacht? Ich meine, wieso sollte Tanaka drei Fremden Personen Glauben schenken, die einfach so bei ihm reinplatzen?“
„Nun, sie haben ihm erklärt, dass sie diejenigen sind, die Tato bestohlen hat, und dass es jetzt zwei Möglichkeiten gibt: Entweder die Sache wird an die ganz große Glocke gehängt, mit Gerichtsverfahren und Strafgeldern, wobei er als Hausverwalter natürlich nicht ungeschoren davonkommen würde, oder sie lösen die Angelegenheit unter sich, zahlen ihm eine entsprechende Summe und das Haus wird auf sie überschrieben.“
„Und da hat er sich drauf eingelassen?“
„Nein, nicht gleich. Doch als Kim das Geld bar auf den Tisch gelegt hat, schon. Er wollte sofort danach greifen. Aber sie haben ihm noch eine Bedingung gestellt: die Wahrheit über sich und Kouki preiszugeben, alles, was er weiß.“
„Und er hat sie ihnen erzählt.“
„Ja, das hat er, und das hat dann erklärt, warum er mit der Million für das Haus sofort hatte abdampfen wollen. So viel Geld hat er nämlich noch nie auf einmal gesehen.“
Ich nahm mir noch ein Croissant und war gespannt auf die Geschichte.
„Tanaka und Tato kennen sich, seit sie Kinder waren. Sie sind in einem Armenviertel von Tokio aufgewachsen, in Wohnungen, die sich in riesigen Neubauhäusern befinden und die nur neun bis fünfzehn Quadratmeter messen.
Tatos Vater starb an Krebs, als er elf war, und ein halbes Jahr später starb seine Mutter … er hat dann bei Haruto Tanaka gewohnt, mit in seinem Bett geschlafen, weil es mehr Platz nicht gab. Zusammen mit Koukis oft betrunkenem Vater und seiner an Asthma leidenden Mutter.“
„Das klingt schlimm.“
„Irgendwann sind dann Tatos magische Fähigkeiten erwacht und das hat ihn da rausgeholt.“
„Aber er ist zurückgekehrt und hat Haruto nicht im Stich gelassen.“
„Nicht direkt, aber er hat ihn zumindest nicht vergessen. Kurz nachdem er seine Ausbildung in der magischen Welt abgeschlossen hat, gab es ein gewaltiges Erdbeben in der magischen Blase von Tokio. Das weiß unser Rat vom dortigen Rat. Die Situation muss Tato genutzt haben, um die Kristalle aus dem Fluss zu stehlen. Es gibt nur ganz wenige davon und sie werden normalerweise bewacht. Sie bilden sich sehr langsam und sind das Kapital der magischen Blase dort. Jedenfalls, nach dem Beben hat ein großer Teil gefehlt und Tato war nicht mehr auffindbar.“
„Hat er sich bei Tanaka versteckt?“
„Nein, da hätte ihn der japanische Rat sicher bald gefunden. Er ist nach Berlin gegangen und hat sich dort seinen Wunschort geschaffen. An einem Wunschort kann einen niemand finden.“
„Aber warum ausgerechnet in Berlin? Wegen des Durchgangs zum Wetterplatz?“
„Warum Berlin, weiß keiner. Vielleicht einfach nur möglichst weit weg von Japan. Oder weil ihn hier niemand kannte. Den Durchgang gab es ja zu der Zeit noch nicht.“
„Hat er ihn etwa geschaffen?“
„Nein, das nicht. Niemand weiß, wie er entstehen konnte. Die Frage ist nach wie vor offen und beunruhigt auch den Rat. Klar ist nur, dass Tato ihn entdeckt haben muss und deshalb wollte er unbedingt das Haus am Wetterplatz.“
„Und Tanaka?“
„Anfangs hat er ihm Geld geschickt. Nicht viel, aber so viel, dass Tanaka sich ein Kapselhotel leisten konnte.“
„Kapselhotel?“
„Habe ich auch gefragt. Marco war schon einmal in Tokio und kennt diese Dinger. Sie stehen an Bahnhöfen und sind circa zwei Quadratmeter groß und nur ein Meter zwanzig hoch. Eigentlich wie Schließfächer, nur eben nicht für Koffer, sondern zum Schlafen. Tagsüber gehen die Mieter solcher Kapseln arbeiten und nachts schlafen sie dort.“
„Und als er das Haus am Wetterplatz gekauft hat, hat er Tanaka nachgeholt, um es zu verwalten, nehme ich an.“
Kira bestätigte das. „Genau. Es gab sogar schon Bauzeichnungen. Das Haus am Wetterplatz sollte in nur zwei Wohnungen umgebaut werden.“
„Nur zwei?“
„Eine für Tanaka und eine für Tato.“
„Aber was wollten sie mit so riesigen Wohnungen?“
„Platzmangel bedeutet die größte Armut, hatte Tanaka mehrmals wiederholt, als würde das alles entschuldigen.“
„Daraus erklärt sich dann wohl die Dimension von Tatos Wunschort in der magischen Welt.“
„Eine ganze Stadt für sich allein. Das ist völlig verrückt.“ Kira strich sich Butter auf ein zweites Croissant.
Endlich dachte ich daran, auch mal von meinem Croissant abzubeißen, das ich die ganze Zeit, fertig mit Marmelade bestrichen, in der Hand gehalten
Weitere Kostenlose Bücher