Schattenmelodie
noch ein wenig schroff, aber sie wirkte nicht mehr so unzugänglich und verschlossen, sondern richtig selbstbewusst.
„Na ja, eher auf seine Musik, aber kann schon sein, dass ich zwischendurch beides durcheinander gebracht hab.“
Grete nickte wissend.
„Und, wie geht es dir?“, fragte ich sie.
„Läuft“, antwortete sie nur. „Wann gehst du wieder nach Berlin? Oder … ich meine … Wie macht ihr das jetzt, du und Janus?“
„Hm, bestimmt habe ich hier bald wieder einen Neuankömmling zu betreuen, und Janus hat sein Antiquariat. Aber, ich meine, wir wohnen ja quasi in derselben Stadt.“ Ich lächelte.
„Stimmt. Vergesse immer, dass man hier ja nicht ewig festsitzt. Also, ich finde es cool hier. Aber ein bisschen eingesperrt fühlt man sich schon.“
„Verstehe ich.“
„Wirst du Tom besuchen?“
An Gretes Tonfall merkte ich, dass sie sich fragte, ob ich ihre Eltern sehen würde.
„Ganz bestimmt. Vor allem Charlie. Vielleicht weißt du noch nicht …“
„Doch, doch, ich weiß alles. Hat sich rumgesprochen mit deiner CT-Aktion.“
„Hast du deinen Eltern geschrieben?“, fragte ich Grete.
„Werde ich noch. Wenn du sie siehst, grüß sie. Kannst mir ja berichten, wie es ihnen geht.“ Grete erhob sich. „Und gib Janus endlich einen Kuss. Man sieht von Weitem, dass er darauf wartet!“
„Was?“ Ich war völlig perplex. Was, verdammt, hatte Grete für besondere Fähigkeiten, um das zu merken?
Sie knuffte mir noch mal mit der Faust die Schulter. Dann lief sie die Treppen hinunter und schlug den Weg zu den Studentenhäuschen ein.
Die Wege im magischen Wald normalisierten sich wieder. Sie waren immer noch ein wenig zu lang oder zu kurz oder hatten sich streckenweise dupliziert, aber es bestand nicht mehr die Gefahr, dass man stundenlang herumirrte. Ich begegnete Pio auf dem Friedhof, der irgendwelche Messungen ausführte. Er nahm überhaupt keine Notiz von mir und war ganz in die Zahlen vertieft, die er in einem dicken Notizbuch notierte.
Ich setzte mich auf die Bank und las den Brief von meinem Vater mehrmals. Er machte mich traurig, aber irgendwie auch glücklich. Meinen Vater von damals gab es nicht mehr. Aber mein Vater von heute war zufrieden. Wenn ich ihn losließ, dann konnte auch mich das froh machen, selbst wenn er sich nicht mehr an mich erinnerte.
Ich suchte ein leeres Kästchen aus, das an dem Kirschbaum hing und das ich bereits vor längerer Zeit gebastelt hatte, und tat den Brief dort hinein. Dann setzte ich mich noch eine Weile auf die Bank, aß ein paar von den köstlichen Kirschen und stellte mir vor, wie der Geist meiner Oma diesen Brief las und lächelte.
Auch, dass es sie nicht mehr gab, zog mich nicht mehr so herunter, wie sonst immer. Ich hatte die Vergangenheit hinter mir gelassen und wusste, dass ein neues Leben für mich begann.
Kapitel 49
Am nächsten Morgen machte ich mich auf den Weg zu Kira. Friedlich vor sich hin singend begrüßte mich der magische Wald mit seinen tanzenden Blüten. Die Wege verliefen wieder wie gewohnt. Nach einem kurzen Marsch trat ich aus dem Wald auf die kleine Wiese, die sich vor Kiras Holzhäuschen befand, das genauso blau schimmerte wie der Himmel. Kira erwartete mich bereits auf der Veranda und begrüßte mich.
„Guten Morgen, Neve.“ Sie rückte mir einen weißen Korbstuhl zurecht. Auf dem kleinen runden Tisch standen Croissants und Marmelade aus Früchten, die im magischen Wald wuchsen, beides hatte natürlich Else gemacht.
„Es gibt Neuigkeiten. Kim ist zurück“, begann Kira sogleich.
„Tatsächlich?“
Ich sah Kira gespannt an. „Haben sie den echten Haruto Tanaka gefunden?“
„Ja, das war nicht schwer. Er saß mit einer Sekretärin in einem kleinen Vermietungsbüro und hatte von nichts einen Schimmer.“
„Was haben sie ihm erzählt?“
„Dass sein Freund oder Angehöriger Kouki Tato einen Unfall hatte und sich an nichts mehr erinnern kann, sie aber die Papiere von ihm, Haruto Tanaka, bei ihm gefunden haben. Tanaka hat nur mit den Schultern gezuckt und sich erst mal dumm gestellt.“
„Unter welchem Namen wurde das Haus am Wetterplatz denn gekauft?“
„Kouki Tato.“
„Dann hat sich dieser Tanaka also nur als Besitzer ausgegeben?“
„So ist es. Und er ist wohl direkt zusammengebrochen, als Ranja, Marco und Kim ihm klargemacht haben, dass Kouki Tato Diebstahl im großen Stil begangen hat, die Sache aufgeflogen ist und das Haus gepfändet und zwangsversteigert wird.“
„Aber wie
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