Schattenmelodie
weiter. Kira sah mich streng an.
„Okay, kein Aber …“, gab ich schnell hinterher. Ihr Gesicht entspannte sich sofort.
„Das heißt, du wirst wieder zum Wetterplatz fliegen?“
„Ich denke, das werde ich.“
Kira nickte.
„Gut so … Und wenn ich dir noch einen Tipp geben darf: Geistere nicht nur um Tomaso herum. Begegne ihm – als Mensch. Sonst wirst du in hundert Jahren nicht erfahren, woran du bist.“
Ich schluckte. Da hatte sie natürlich recht. Aber allein die Vorstellung, ihn anzusprechen … Ein richtiges Herz in meinem Innern hätte jetzt wahrscheinlich wie wild geschlagen und herausgewollt.
Kapitel 13
Es war Samstagabend kurz nach zweiundzwanzig Uhr. Die ganze Stadt befand sich in Ausgehlaune. Kinos und Theater entließen ihre Gäste. In den Restaurants und Kneipen herrschte Hochbetrieb.
Ich hatte mich für ein schwarzes Outfit entschieden, weil Kira meinte, ich würde mich darin sicherer fühlen. Schwarzes Wollkleid, schwarze Stiefel, schwarzer Mantel, alles Sachen, die ich eigentlich für Kira gekauft hatte. Da Else, die Köchin der Akademie, mich nicht mit ihren Köstlichkeiten erfreuen konnte, strickte sie mir für meine Ausflüge in die reale Welt jedes Jahr einen neuen Schal. Ich mochte am liebsten den hellblauen, den weißen oder den frühlingsgelben, aber ich konnte nur den knallroten finden, den sie mir irgendwann verpasst hatte.
Auch im Absturz herrschte mehr Betrieb als beim letzten Mal. Ich spazierte schon die dritte Runde um den Wasserturm mit seinem Hügel, und traute mich nicht hinein. Dabei war doch gar nichts dabei. Tom kannte mich nicht und auch sonst wusste niemand, wer ich war. Ich konnte zum Beispiel mit einer Freundin verabredet sein und dann wieder gehen, weil sie nicht kam.
Ich sah Tom durch die Fensterscheiben, wie er ein Bier nach dem anderen zapfte und auf den Tischen volle Gläser gegen leere tauschte. Okay, jetzt los! Es ging doch nur um eine erste „echte Begegnung“. Etwas bestellen, ein paar Worte wechseln … Ich war gespannt, wie er auf mich reagierte. Interessiert? Gleichgültig? Oder erstaunt, weil er mich in seinem Laden noch nie gesehen hatte?
Dann gab ich mir einen Ruck, verstaute den auffälligen roten Schal in meiner Tasche, bewegte mich auf die Tür zu und stand plötzlich drinnen.
Ich sah mich um. Kein Tisch frei. An jedem saß mindestens eine Person. Also tat ich so, als würde ich jemanden suchen. Sofort spürte ich den starken Impuls, einfach umzudrehen und die Kneipe zu verlassen. Aber dann erinnerte ich mich an das Gespräch mit Kira: „Nicht flüchten.“
Am Tresen standen noch zwei unbesetzte Barhocker. Ich entdeckte Viktor, der rechts neben den freien Plätzen saß, und war erleichtert über das vertraute Gesicht, obwohl er mich nicht kannte.
„Ist hier noch frei?“, fragte ich ihn.
Langsam drehte er sich zur Seite und murmelte ein „Joa“, ohne mich dabei anzusehen.
Ich zog mir den Hocker ein Stück vor, hing meinen Mantel darüber, setzte mich … und sah, nachdem ich endlich eine bequeme Position gefunden hatte, direkt in die Augen von Tom. Er stand genau vor mir, verzog keine Miene, lächelte nicht mal, sondern ließ nur sein Kinn nach oben rucken, als Ersatz für die Frage, was ich bestellen wollte.
„Ei… ein Wasser, stilles“, stotterte ich. Er nickte nur, wandte sich wieder von mir ab, holte eine Flasche mit Mineralwasser unten aus dem Schrank, goss ein Glas ein und stellte es mir hin.
„Danke“, sagte ich.
Kein „Bitteschön“, und wieder kein Lächeln. Tom hatte mich, während er mir mein Wasser servierte, nicht mal angesehen und sich gleich wieder seinem Zapfhahn zugewandt. Ich war einfach nur irgendein Gast, den er zu bedienen hatte. Aber auch dafür wirkte er nahezu abweisend. Ich starrte ihm entgeistert auf den Rücken, den er mir jetzt zuwandte.
Plötzlich hörte ich eine Stimme dicht neben meinem Ohr: „Hier.“ Viktor schob mir einen Bierdeckel hin, und als ich ihn nicht gleich nahm, stellte er mein Glas, das bereits einen Wasserrand auf dem Tresen hinterlassen hatte, darauf.
„Danke.“ Ich nickte ihm zu.
„Viktor, übrigens“, stellte er sich vor. Er hatte eine Fahne, bestimmt trank er bereits das dritte oder vierte Bier.
„Ich warte auf eine Freundin“, erklärte ich nervös. Viktor nickte und nahm einen kräftigen Zug aus seinem Glas.
„Ich schreib einen Roman“, antwortete er und zog sich seinen Notizblock ran. Er blätterte unmotiviert darin herum. Viele Seiten waren mit
Weitere Kostenlose Bücher