Schattenmelodie
legte ich eine Hand in die Gegend meines Herzens und war im ersten Moment selbst irritiert, dass ich es nicht spürte.
„Das ist er doch, oder?!“ Kira forschte in meinem Gesicht.
Der Mann meines Herzens? Ich nickte tapfer.
Kira sah mich weiter forschend an. „Du selbst bist beeindruckt von ihr, stimmt’s?!“ Auf einmal war Kira es, die mir alles an den Augen abzulesen schien. An diesen neuen Umstand musste ich mich erst noch gewöhnen.
„Sie hat einfach keine Hemmungen. Das macht bestimmt vieles leichter“, erklärte ich und hob hilflos meine Arme.
„Dann versuch einfach, selbst so zu sein. Du kannst das doch.“
„Ich?“
„Na klar, du! Ich erinnere mich an ein paar ziemlich forsche Momente mit dir, zum Beispiel, wie du Leonard Kontra gegeben hast, als er mich ganz am Anfang vor der Akademie und später im Akademie-Café so blöd angemacht hat.“
Wir mussten beide kichern, als wir uns daran erinnerten.
„Bei Leo war’s auch leicht. Der hat mich kein bisschen interessiert.“
„Dann stell dir einfach vor, Leo steht vor dir, wenn du das nächste Mal Tom gegenübertrittst! Das funktioniert, wirst sehen.“
Kira gähnte. Erst jetzt bemerkte ich, dass sie ziemliche Schatten unter den Augen hatte. Sie legte sich Tims Shirt um die Schultern, lehnte sich ein wenig zurück, und schloss die Augen für eine Weile.
„Du bist so müde, ist bei dir wirklich alles in Ordnung?“, fragte ich sie.
„Eigentlich schon, aber ich hätte nicht gedacht, dass es so vieler Übung bedarf, um die Elemente wirklich zu beherrschen, besonders wenn man Begabungen für jedes der Elemente besitzt. Schon die normalen Seminare sind anstrengend. Immer, wenn alle Schluss haben, habe ich noch Sondersitzungen mit Mitgliedern aus dem Rat.“
Ich nickte verstehend. Kira öffnete wieder die Augen und schaute in den Himmel.
„Aber das ist es eigentlich nicht. Ich spüre, wie alle schon jetzt Außergewöhnliches von mir erwarten, wenn Probleme auftreten. Ein Sonderwissen oder Sondersehen oder was weiß ich. Aber ich kann mit nichts aufwarten. Ich bin genauso ratlos wie alle andern auch.“
„Ratlos? Weswegen ratlos?“
„Na, wegen der Verschiebungen.“
„Verschiebungen? Was für Verschiebungen?“
Kira schaute mich verwundert an. „Weißt du noch nichts davon?“
Ich schüttelte den Kopf und fühlte eine seltsame Unruhe in mir.
Kira setzte sich wieder gerade hin und erklärte: „Es gibt Verschiebungen in der magischen Blase. Wege sind auf einmal länger oder kürzer. Leute finden ihre persönlichen Lieblingsorte nicht mehr auf Anhieb. Es ist ganz seltsam. Niemand weiß, was die Ursache sein könnte. In Pios Chroniken steht nichts, was Ähnlichkeit damit hat.“
Mir fiel mein Heimweg ein. „Ich hab es auch gemerkt, als ich vorhin gekommen bin. Es war, als wenn der Äther-Durchgang nur ein paar Schritte von unserem Haus entfernt lag. Und dann stand ich plötzlich hier, hinter dem Haus. Ich dachte, ich wäre vom Weg abgekommen.“
„Ja, genau das.“
„Betrifft es nur unsere Blase?“
„Bisher ja. Der Rat hat aber Experten aus anderen magischen Blasen eingeladen und auch magische Leute, die in der Realwelt leben und vielleicht helfen könnten.“
Das Ganze klang unheimlich. Ich spürte einen Anflug von Angst.
Kira bemerkte es sofort. „Mach dir keine Sorgen. Erst mal ist es keine akute Bedrohung, sagt der Rat. Und ich glaube das auch. Die magische Blase ist schließlich von Natur aus voller Ungereimtheiten in Bezug auf physikalische Gesetze. Nur dass es jetzt stärkere Verschiebungen gibt, sie irgendwie willkürlicher sind und plötzlich auftreten. Ich denke, erst wenn die Akademie jede Stunde woanders steht, wird es ernst …“ Kira lachte und dann gähnte sie gleich noch einmal.
Ich nickte und hoffte, dass alles tatsächlich halb so schlimm war.
„Ich glaube, ich geh schlafen.“ Sie nahm ihr Büchlein von Tim, in dem sie jetzt sicher unbedingt lesen wollte, und erhob sich.
„Gute Nacht“, wünschte ich ihr und beschloss, an meinem Projekt zu den magischen Blasen der Welt zu arbeiten. Ich fragte mich, wie müde ich nach den Erlebnissen der letzten Tage eigentlich sein müsste, würde ich Schlaf brauchen wie ein normaler Mensch. Dabei fiel mir auf, dass meine Verliebtheit in Tom bisher gar keine menschlichen Symptome auslöste. Seltsam.
Ich wachte die Nacht durch und recherchierte für mein Projekt. Nebenher sah ich hin und wieder aus dem Fenster, überlegte, ob mir das Tal auf einmal kleiner
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