Schattenmelodie
Spielst du ein Instrument?“
Ich ließ meine Hände unter der Theke verschwinden und ärgerte mich im gleichen Moment darüber. Das war wieder eine viel zu schüchterne Geste.
„Nein. Du?“
Sein Lächeln verschwand. Hoffentlich war ich mit dieser Frage nicht zu weit gegangen. Natürlich würde er mir jetzt nicht einfach von seinem Flügel erzählen. „Na wegen deiner Hände. Du könntest auch …“
Reflexartig verschränkte er die Arme, als wollte er seine Hände ebenfalls verstecken. „Totaler Holzweg. Ich kann nur Gläser waschen.“ In seinen Tonfall mischte sich unterschwellige Wut. „Apropos. Ich muss weiter …“
Er wandte sich ab, ging in den Keller hinunter, obwohl ich mir sicher war, dass er dort gerade gar nichts zu tun hatte, und machte sich dann wieder hinter seiner Theke zu schaffen.
Mist, unser Gespräch hatte so schön begonnen. Eigentlich genau in der Art, wie er sich mit Charlie unterhielt. Ein voller Erfolg, er nahm mich jetzt anders wahr. Aber dann hatte ich es versaut, total ungeschickt und viel zu früh nach seinem Geheimnis getastet. Ich tat so, als würde ich einen Schluck vom Bier nehmen, und wischte mir den Schaum von den Lippen. Wie konnte ich jetzt wenigstens die Hälfte des Bieres loswerden? Als Tom zu einem der Tische hinüberging, wo zwei Typen Platz genommen hatten, kippte ich einfach schnell etwas ins Spülbecken und hielt das Glas noch in der Hand, als Tom viel zu schnell wieder hinter mir auftauchte. Hatte er es bemerkt?
„Sie trinkt tatsächlich Bier“, bemerkte er und seine Stimme hatte den gewohnt freundlichen Ton zurückerhalten. Nein, er hatte es nicht bemerkt.
„Ich habe mir was überlegt – ist nur ein Angebot – aber du könntest hier stundenweise aushelfen, wenn du willst.“ Ich drehte mich zu ihm um. Hatte ich richtig gehört?
„Erst mal die ganze Weihnachtsdeko anbringen – also, ich steh nicht auf das Zeug, aber die Touristen“, fuhr er fort. „Und im Dezember brauche ich immer eine Hilfe. Da wird es voll. Die wollen dann auch immer mal noch ’ne „echte Kneipe wie früher“ sehen, als das noch Besetzerhaus-Gegend war.“
Ich, bei Tom in der Kneipe arbeiten? Das hatte er mir gerade angeboten? Ich war so happy, als hätte er mir einen Heiratsantrag gemacht, und brachte kein Wort heraus.
„Na ja, ist kein Hotelrestaurant. War nur so ’ne Idee.“
Endlich fand ich meine Stimme wieder: „Nein, nein. Danke für das Angebot. Ich finde die Idee großartig!“
Mensch, ich sprach viel zu leise und wieder genauso schüchtern wie sonst immer. Also sprang ich vom Hocker, kam ganz dicht vor ihm zum Stehen, strahlte ihn an und sagte: „Was kann ich tun? Ich fang gleich an!“
„Hoppla.“ Tom trat überrascht einen Schritt zurück.
Ich wich ebenfalls zurück, bis mir mein Barhocker im Weg stand.
„Tut mir leid, ich …“, stotterte ich. Oh je, war das peinlich.
„Schon gut, hab nicht damit gerechnet, dass du mich gleich anspringst.“ Tom lächelte jetzt wieder. „Das heißt, wir sind im Geschäft?“
Ich nickte und konnte mein Glück kaum fassen. Niemals hätte ich gedacht, dass ich hier heute hineinspazieren würde, ausgiebig mit Tom plaudern und zu seiner Mitarbeiterin werden würde.
„Und du willst tatsächlich sofort anfangen?“, rief er jetzt von der anderen Seite des Raumes.
Wieder nickte ich nur. Meine gesteigerte Selbstsicherheit war erst mal völlig verflogen
„Dann komm mit.“ Tom zeigte auf die Hintertür.
Ich lief ihm nach.
Wir gingen über den Hof zu einem Abstellraum, wo er zwei Kisten mit Lichterketten hervorkramte.
„Zehn Euro die Stunde, mehr kann ich dir leider nicht geben.“
„Das ist okay.“
Er hielt mir eine Kiste hin.
„Schaffst du das?“
„Klar.“
In Wirklichkeit hatte ich ziemlich an der Kiste zu schleppen, viel mehr als ein normaler Mensch mit meiner Konstitution. Es war ein Nebeneffekt meines halb ätherischen Daseins. Die materiellen Dinge waren für mich doppelt so schwer wie für andere.
Wir vereinbarten, Tom würde mir Bescheid geben, wenn er mich brauchte. Hauptsächlich am Wochenende, aber vielleicht auch mal in der Woche, wenn er die Einkäufe erledigen musste oder eine der weiteren Aushilfen nicht konnte. Wir würden das flexibel abstimmen. Er fragte mich nach meiner Handynummer und sah mich ungläubig an, als ich ihm gestand, dass ich kein Handy besaß. Unter den Gegebenheiten der magischen Welt funktionierten solche Geräte nicht. Aber dann dachte er wohl, mir würde das
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