Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenmelodie

Schattenmelodie

Titel: Schattenmelodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Unruh
Vom Netzwerk:
seinem Antiquariat. Seine Arme hingen irgendwie hilflos an ihm herab. Er hielt den Blick auf die Toreinfahrt geheftet, als hoffte er, ich würde zurückkehren. Zum Glück lief er mir nicht hinterher. Einerseits war das seltsam, andererseits beruhigend und viel besser so. Wahrscheinlich hatte ihn mein plötzlicher Anfall völlig überrascht. Ein bisschen tat er mir leid. Ich würde meine Flucht das nächste Mal erklären müssen. Na ja, vielleicht wird das gar nicht so schwer. Schließlich wollte doch niemand jemandem, den er gerade erst kennengelernt hatte, die Bude vollkotzen.
    Bei dem Gedanken spürte ich ein Stromzucken durch meinen unsichtbaren Körper, während ich langsam über die Dächer schwebte, um zur Ruhe zu kommen. Sich übergeben war so was von schlimm! Als Kind hatte ich jedes Mal gedacht, ich müsste sterben. Mit ein wesentlicher Grund, nie wieder zu menschlich zu werden.
    Janus hatte mir kurz das Gefühl gegeben, ganz normal sein zu wollen. Aber jetzt schwor ich mir, dass dieser „Saufanfall“ eine absolute Ausnahme bleiben sollte.
     

Kapitel 20
     
    Zuhause wartete Grete auf mich. Sie saß zusammengekauert vor meiner Wohnung und tippte auf ihrem Smartphone herum. Ich entfernte mich noch einmal nach unten und nahm meine Gestalt wieder an. Ein leichtes Stechen in der Magengegend war jetzt immer noch zu merken, aber es würde gehen. Ich stieg die Stufen nach oben.
    „Oh, hallo Grete. Wartest du auf mich?“
    „Sieht man doch“, antwortete sie schroff.
    „Danke für die feinen Kekse. Sie …“
    „Sag jetzt nicht, dass sie lecker sind. Du hast keinen einzigen Keks davon gegessen.“
    Sie zog die Blechbüchse hervor.
    „Nein, aber das werde ich noch. Ich wollte sie nur nicht einfach reinstopfen, sondern es mir damit so richtig gemütlich machen.“
    Grete erhob sich, damit ich die Tür aufschließen konnte.
    „Du isst so was nicht, stimmt’s?“
    „Wie kommst du denn darauf?“
    „So ein Gefühl. Du bist dünn und hast eine Hautfarbe wie ’ne gekalkte Wand. Ich schätze, du bist magersüchtig.“
    Grete klang trotzig.
    „Möchtest du mit reinkommen?“ Ich ging nicht auf ihre Provokationen ein und fragte sie ganz freundlich.
    „Nein. Ich habe gelesen, dass man an Magersucht sterben kann.“
    „Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich bin nicht magersüchtig.“
    „Ich mach mir keine Sorgen. Es ist in Ordnung“, sagte Grete ernst.
    „In Ordnung?“ Ich war irritiert.
    „Ja. Ich esse auch nichts mehr. Verhungern ist besser, als vom Dach zu springen …“
    Grete hatte aufgehört zu essen? Ich wusste natürlich, was das bedeutete. Es war bald soweit. Nun würde sie nicht mehr lange brauchen, um den Durchgang zu finden. Sie sah mich herausfordernd an und erwartete ein paar Vorwürfe.
    „Seit wann?“, fragte ich nur.
    „Seit ich die Kekse gebacken habe. Ein Blech ist mir verbrannt. Von dem Geruch wurde mir übel. Das hat mich auf die Lösung gebracht: einfach nichts mehr essen. Tja, und es fällt mir kein bisschen schwer.“
    Sie wartete auf eine Reaktion, aber ich sah sie nur an. Etwas nervös strich sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr und fügte hinzu: „Aber nichts essen dauert viel zu lange. Deshalb trinke ich auch nichts mehr. Seit gestern. Und es macht mir kein bisschen was aus. Stell dir vor.“ Sie begann provokativ mit dem Fuß zu wippen.
    „Ich weiß. Mach dir keine Sorgen. Es bedeutet, dass sich dir bald der Weg in die magische Welt zeigt. Das ist alles normal“, erklärte ich.
    Grete flippte aus: „Normal?“, rief sie. „Dir ist es egal, dass ich mich gerade umbringe?“
    Ich versuchte, ruhig zu bleiben. „Du bringst dich nicht um. Glaub mir, du entwickelst besondere Fähigkeiten. Dass du aufhörst zu essen und dann zu trinken, das wäre bei einem normalen Menschen bedenklich. Aber in deinem Fall ist das kein Anzeichen für Magersucht, sondern es sind harmlose Symptome.“
    Grete kam sich völlig veralbert vor. Ich wollte sie eigentlich mit meinen Worten beruhigen. Aber sie wurde immer wütender.
    „Wenn das alles stimmen soll, dann zeig mir doch, wo es zur magischen Welt geht. Und zwar sofort!“ Grete schrie jetzt durch den ganzen Hausflur.
    „Lass uns erst mal hineingehen“, bat ich sie zum zweiten Mal.
    „Nein! Ich will es sofort wissen, hier und jetzt!“
    Ich seufzte. „Ich kann dir nicht vorab sagen, wo der Weg ist. Du musst ihn allein finden, ohne dass dir jemand vorher davon erzählt. Du würdest sonst vielleicht versuchen hindurchzugelangen,

Weitere Kostenlose Bücher