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Schattenmelodie

Schattenmelodie

Titel: Schattenmelodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Unruh
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jung und lebenslustig für eine Familie mit einem komischen Kauz, und sie lebte in einem unfreien Land. Der Amerikaner hat sie geheiratet und dann durfte sie es verlassen.“
    „Ist dein Vater danach allein geblieben oder …“
    „Nein, es gab zum Glück keine Ersatzmutter für mich. Wir wohnten in einer Villa aus dem 19. Jahrhundert, mit düsteren Möbeln aus den 30er Jahren, ein Familienerbe, an dem aber schon lange nichts mehr gemacht worden war. Die Wände hatten geblümte Tapeten und der Lack auf den Dielen war überwiegend abgetreten. Aber das störte einen etwas seltsamen und sehr zurückgezogenen Professor nicht.“
    „Du bist mit ihm allein aufgewachsen?“
    „Nein, wir hatten eine Haushälterin, Maria, eine schon ältere und ziemlich dicke Frau, die sehr gut kochen konnte und die ganz zu uns zog, als klar war, dass meine Mutter nicht mehr zurückkommen würde.“
    „Ich nehme an, sie war älter und wusste mit deinem Vater umzugehen.“
    „Allerdings. Früher soll er entspannter gewesen sein, aber ich kenne ihn eigentlich nur kompliziert. Wenn ich an das Haus denke, dann höre ich sofort das Ticken der großen Standuhr im Flur. Es war das einzige Geräusch, das mein Vater ertrug. Ansonsten brauchte er absolute Stille. Aber so verhielt es sich nicht nur mit Geräuschen. Er war extrem überempfindlich gegen fast alles, gegen Gerüche, kalte Luft, warme Luft, Pflanzen, Tiere, fremde Menschen im Haus … Ich durfte nie Besuch haben.“
    Janus beugte sich vor, nahm meine Tasse und stand auf.
    „Komm, eine Tasse genehmigen wir uns noch, oder?!“
    „Gerne“, hörte ich mich sagen. Ich hatte inzwischen die ganze Tasse ausgetrunken und ich wollte noch mehr, obwohl ich ein leises Stechen in der Magengegend spürte und mir bereits ein wenig trieselig war. Ich lehnte mich an die Rückenpolster des Sofas und zog die Decke ein wenig höher. Am liebsten hätte ich meine Stiefel abgestreift und die Füße hochgezogen, aber das traute ich mich nicht. Ich fühlte mich auf einmal gut und wollte das Sofa am liebsten gar nicht mehr verlassen.
    Janus füllte neuen Glühwein in die Tassen und kehrte zurück. Seine große, kräftige Gestalt, die dunklen Augen und die schwarzen Locken – er war mir immer etwas „südlich“ vorgekommen. Aber die blasse Haut … Polen, das passte. Auch diese gewisse Schwere, die er ausstrahlte und die jetzt in der Geschichte, die er mir erzählte, ihre Entsprechung fand. Hatte er seine Kindheit nicht in einer ähnlichen Stimmung verbracht wie ich? Dennoch wirkte er so herzlich und gelöst.
    Als ich meine zweite, dampfende Tasse in den Händen hielt, schwor ich mir, sie nicht auch noch auszutrinken. Das konnte nur in einer Katastrophe enden. Als hätte Janus meine Gedanken gelesen, sagte er: „Keine Sorge, der Alkohol müsste inzwischen verkocht sein, ich hatte die Platte nicht runtergestellt, es hat die ganze Zeit geblubbert.“
    „Heißt das, du warst ein trauriges Kind?“, nahm ich das Gespräch wieder auf. Ich wollte mehr wissen über Janus.
    „Oh, nein, nein. Ich habe jetzt zuerst das Negative erzählt. Ich war oft allein, ja, bestimmt viel zu oft. Aber mein Vater war ein toller Vorleser. Der beste, den ich kenne. Er las mir vor, fast jeden Abend und am Wochenende, manchmal den ganzen Tag, und dann bekamen wir Ärger von Maria, weil wir die Mahlzeiten vergaßen, und weil es zumeist Mythen und Legenden waren, die mir mein Vater näherbrachte.
    Maria war sich sicher, ich würde dadurch ein völlig verqueres Bild von der Welt bekommen. Deswegen las sie mir in der Küche oft die Schlagzeilen aus der Zeitung vor, als Gegenprogramm sozusagen. Aber ich muss sagen, die Zeitungsberichte konnte man wirklich vergessen gegen das, was in den Büchern meines Vaters stand.“
    Janus lachte. Sein Lachen ist noch wärmer als das Feuer, schoss es mir durch den Kopf. Und ich lachte mit Janus und über diesen Gedanken.
    „Daher deine Liebe zu Büchern. Zu besonderen Büchern, mit sehr alten Geschichten.“ Ich ließ den Blick durch den großen Raum schweifen. Für einen Moment konnte man glatt ins Grübeln kommen, ob er sich tatsächlich in der realen Welt befand oder nicht doch eher ein persönlicher Ort in der magischen Welt war.
    „Ich habe noch nie so ein ordentliches Antiquariat gesehen.“
    „Oh, das täuscht. Das hier ist ja nur das Vorzeigezimmer.“ Janus stellte seine Tasse ab.
    „Komm mit, ich zeig dir was.“
    Ich stellte meine Tasse ebenfalls ab und bemerkte, dass mein zweiter

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