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Schattenmelodie

Schattenmelodie

Titel: Schattenmelodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Unruh
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studierte die Maserung der abgenutzten Dielen. Tom sagte nichts und ich wagte nicht, wieder aufzuschauen. „Wunderschöne … die Mondscheinsonate … mein Lieblingsstück. Und etwas Unbekanntes, das war noch schöner …“
    Geduckt wartete ich, dass Tom ausrastete. Aber das tat er nicht.
    „Es ist bestimmt kein Zufall, dass du mich gehört hast. Komm. Ich werde dir was zeigen“, sagte er.
    Ich schaute auf, aber er sah mich gar nicht an.
    Er steuerte auf den Schrank zu, hielt sich an der Schranktür fest, stieg hinein und öffnete die Tür dahinter, die in den schallisolierten Raum führte.
    „Komm“, sagte er noch einmal, aber sah mich wieder nicht an.
    Ich kletterte hinterher. Und dann standen wir beide vor dem Flügel.
    „Das ist mein Geheimnis. Du bist die erste, die davon erfährt.“
    Ich wusste nicht, ob er feierlich oder resigniert klang. Auf jeden Fall bemühte er sich um Festigkeit in seiner Stimme.
    „Ein schönes Instrument. Vor wem versteckst du es?“
    „Vor niemandem und vor allen.“
    „Aber warum?“
    „Weil ich nicht spielen kann. Und schon gar nicht komponieren.“
    „Aber das stimmt nicht. Ich habe es gehört …“
    „Es darf niemand hören … weil es lächerlich ist, wenn ein einfacher Barkeeper in einem einstürzenden Haus ein Komponist sein will.“
    „Ich habe es gehört …“
    „Weil du meine Muse bist.“
    Jetzt sah er mich an. Seine Worte gingen mir durch und durch. Ich war Toms Muse, nicht weil ich es mir gern so vorstellte, sondern weil Tom mich so bezeichnete. Das war … viel mehr, als ich jemals zu träumen gewagt hätte.
    Tom ließ sich auf die Klavierbank fallen und hörte nicht mehr auf mich anzusehen, sodass ich mich mit jeder Sekunde unwohler fühlte.
    Dann sagte er: „Ich habe von dir geträumt. Schon bevor wir uns kannten. Du hast mir einen verzauberten Wald gezeigt, in dem die Blüten singen. Und seitdem weiß ich, dass mein Stück ein Lied ist. Ist das nicht verrückt?“
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Seine Offenheit kam so überraschend. Wahrscheinlich hatte es damit zu tun, dass er betrunken war.
    Er seufzte. „Schau nicht so verschreckt. Es war nur ein Traum. Und in einem Traum schraubt man die unmöglichsten Dinge mit den fremdesten Menschen zusammen. Du kannst natürlich nichts dafür. Kein bisschen.“
    Doch, ich kann etwas dafür, ganz viel kann ich dafür , wollte ich ihm am liebsten antworten, aber das ging natürlich nicht.
    Tom rutschte von seinem Hocker, fing sich aber mit den Händen auf dem Boden ab und rutschte hinüber zu seiner Matratze.
    Dort blieb er halb an die Wand gelehnt liegen und taxierte mich.
    „Du hast ein Sommerkleid an. Ein schönes Sommerkleid. Wie in meinem Traum. Ein seltsames Mädchen bist du. Der Himmel hat dich geschickt, stimmt’s?!“
    Mir gefiel nicht, dass er „seltsames Mädchen“ zu mir sagte. Das hieß doch, er sah mich nicht als Frau, die man bewundern konnte, so wie Charlie, sondern als jemanden, der irgendwie niedlich war, und den man beschützen musste.
    Er klopfte neben sich auf die Matratze. „Setz dich.“
    Ich sollte mich zu ihm auf die Matratze setzen? Aber da war doch kaum noch Platz. Irgendwie wollte ich nichts lieber tun.
    Trotzdem blieb ich stehen und sagte: „Nein, du bist seltsam.“ Ich bereute es im selben Moment. Durch den Satz wirkte ich bestimmt noch kindlicher.
    „Das stimmt“, antwortete er. „Vielleicht sollte ich es dir erklären. Irgendjemandem muss ich es mal erzählen. Und du, du bist genau die Richtige. Also, nun setz dich schon“, wiederholte er, fast im Befehlston.
    Ich würde ihn berühren, wenn ich mich auf die freie Stelle setzte, die er mir zeigte. Und das wäre nicht im Traum sondern in Wirklichkeit. Aber Tom rückte beiseite, als ich näherkam. Und schon befand sich genügend Abstand zwischen uns. Ich war enttäuscht.
    Tom zog eine dritte Weinflasche hinter der Matratze hervor, schraubte sie auf und nahm ein paar Schlucke. Er bot mir nichts an. Ich hätte auch nichts genommen, trotzdem kam ich mir dadurch vor, als wäre ich gar nicht da.
    „Alle feiern sie meinen Vater – großer Komponist und so – dabei ist er nur ein Komponistenarschloch, das in seiner dicken Villa hockt und alle anderen dümmer findet als sich selbst.“
    „Dein Vater ist Komponist?“
    „Ich hatte so ein kleines Ebenbild von ihm werden sollen. Aber einen Scheiß werd ich … Punkmusik ist viel geiler … Hab ich angefangen zu hören, als ich vierzehn war. Mit siebzehn hat er mich

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