Schattenmelodie
dann deswegen rausgeschmissen … und mir das hier vererbt.“ Tom machte mit seinen Armen eine ausholende Geste in den Raum und verabreichte mir dabei eine leichte Ohrfeige, aber er merkte es nicht. „Schönes Erbe! Schönes beschissenes Erbe.“
Ich berührte meine Wange, wo Tom sie gerade berührt hatte, und versuchte seiner Berührung nachzuspüren.
„Du wirst es also verkaufen?“
„Ich? Verkaufen? Quatsch. Ich würd’s behalten, wenn ich könnte. Aber es steckt seit Jahren in so ’nem Rückübereignungsprozess. Deswegen hat der Alte es mir ja vermacht, damit er den Stress nicht am Hals hat. Zwei Fliegen mit einer Klappe: mich los und dieses Haus. Clever, oder?! So muss man’s dreh’n.“
„Rückübereignung? Das heißt, es gehört jemand anders?“
„Einer jüdischen Familie aus New York. Haben die Nazis ihnen damals weggenommen. Na ja, und die Nachkommen haben’s jetzt wieder und wollen’s verkaufen – an diesen glatten Japaner, wie’s scheint. Ich mein, der Typ ist doch irgendwie widerlich, oder?!“
Tom nahm einen großen Schluck aus der Weinflasche. Er klang so ungewohnt grob. Immerhin schien der Alkohol seine ganze angestaute Wut herauszuspülen.
„Die letzten vier Sätze, die mein Vater an mich gerichtet hat, werde ich nie vergessen: ‚Das ist dein Erbe. Mach was draus oder versaufe es. Es ist mir egal. Und nun packe deine Sachen und verschwinde‘, hat er gesagt.“
Tom schüttelte den Kopf. Er sah immer nur an die Decke und nicht einmal mich an. Vielleicht fiel es ihm so leichter, sich alles von der Seele zu reden.
„Den Flügel werde ich verkaufen müssen. Oder ich gehe mit ihm aufs Land. In irgendeine Ruine in der Uckermark, in ein Schloss ohne Dach und ohne Fenster. Dorthin, wo mich niemand hört. Wo ich niemanden störe mit meiner Leidenschaft für etwas, wofür mir das Talent fehlt …“
„Das ist nicht wahr …“
Jetzt sah er mich an, mit drohendem Blick, als wäre ich ein Kind, das schwer von Begriff war: „Er hat gesagt, dass das Klavier scheppert, wenn ich spiele, die Geige quietscht, sobald ich sie mit dem Bogen berühre, und dass ich den Dirigentenstab halte wie einen Wanderstock!“
Toms Blick machte mir Angst. Er starrte mich an, aber ich hatte den Eindruck, er sah mich gar nicht.
Dann lehnte er sich wieder zurück, sodass er mit dem Hinterkopf gegen die Wand stieß.
„Er hatte bestimmt Unrecht“, bemerkte ich vorsichtig.
„Natürlich hatte er Unrecht!“, brauste Tom auf, sodass ich einen neuen Schreck bekam. Er setzte sich aufrecht und hieb mehrmals gegen die linke Seite seines Brustkorbs: „Hier drinnen weiß ich, dass ich komponieren muss. Ich muss es. Und das hat gar nichts mit dem Alten zu tun. Überhaupt nichts. Null. So sieht die Wahrheit aus!“
Wieder sank er zurück, sein Hinterkopf verursachte an der Wand erneut ein dumpfes Geräusch.
„Ich bin mir sicher, dass das die Wahrheit ist“, erwiderte ich und versuchte, ruhig zu klingen, obwohl mich Toms Zustand ziemlich aufwühlte.
Eine Weile sagte er nichts mehr und starrte an die Zimmerdecke. Dann erklärte er plötzlich sehr leise: „Tomaso gibt es nicht mehr, sobald es dieses Haus nicht mehr gibt. Es gibt dann nur noch Tom, den Barkeeper, und das hat seine Richtigkeit. Es ist ein gutes Leben, weißt du. Alles andere ist eitel. Eitel bis zum Erbrechen!“
Oh je, das war das Gegenteil von dem, was er gerade davor behauptet hatte. Ich wollte sofort etwas einwenden.
Aber da griff er plötzlich nach dem Saum meines Kleides. Ich wagte es nicht, mich zu rühren. Würde er mich gleich richtig berühren? An meinem Bein? Aber nichts dergleichen geschah. Er machte den Eindruck, als wollte er die Qualität des Stoffes prüfen, dann presste er den Stoff in seiner Faust zusammen und es schien, als wolle er sich daran festhalten. Und dann ließ er wieder los und die Augen fielen ihm zu.
„… und du, du hast im Dezember einfach nur ein Sommerkleid an“, waren seine letzten Worte, bevor er zur anderen Seite wegsackte und einschlief.
Ich lehnte meinen Kopf an die Wand und starrte auf den stummen Flügel. Bald hörte ich ein regelmäßiges Schnarchen. Vorsichtig erhob ich mich und verließ den Raum.
Es war die Stimme des Japaners, die mich aus meinen Grübeleien riss. Er lachte und lachte, ein schiefes, nicht enden wollendes Lachen, das im ganzen Hausflur widerhallte. Es war nicht besonders laut, klang eher gepresst, aber gleichzeitig überlegen und dabei vor allem äußerst gehässig.
Ich
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