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Schattenmelodie

Schattenmelodie

Titel: Schattenmelodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Unruh
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saß auf dem alten Eisenbett und hatte zugeschaut, wie der Mond über den Dächern gen Westen wanderte, hatte versucht, all die Worte von Tom zu verdauen.
    Dass ich die Kontrolle über meine Sichtbarkeit verloren hatte, daran konnte nur der Alkohol schuld gewesen sein. Anders ließ sich der Zwischenfall bei Tom nicht erklären.
    Ich streckte mich ein wenig und lauschte.
    „Herr Wieland, Sie können mich jetzt nicht mehr wegscheuchen. Ich habe das Haus gekauft. Nehmen Sie das Angebot für sich und die Familie im zweiten Stockwerk an. Von dem Geld können Sie gut und gerne Kaution und Provision für eine andere Wohnung bezahlen.“
    Jetzt lachte Tom höhnisch, während Herr Tanaka still blieb. Wahrscheinlich grinste er nur noch undurchdringlich.
    „Für wie naiv halten Sie mich eigentlich? In Deutschland gibt es Gesetze zum Schutz der Mieter. Glauben Sie, ich hätte davon keine Ahnung? Und jetzt verschwinden Sie, auf der Stelle. Niemand wird so schnell aus diesem Haus ausziehen. Niemand!“
    Tom knallte die Tür zu. Herr Tanaka räusperte sich und ließ seine Aktentasche mit lautem Klick zuschnappen. Wie es aussah, hatte er das Haus tatsächlich gekauft und versuchte nun, sich der verbliebenen Mieter mittels eines Geldbetrages zu entledigen. Natürlich ging das nicht. Aber auf lange Sicht würde es schwierig werden. Sicher könnten Tom und Gretes Familie bleiben – wenn sie in der Lage sein würden, für eine sanierte Wohnung einen viel höheren Preis zu zahlen. Aber das war eben unrealistisch. Tom hätte dafür die Hilfe seiner Eltern benötigt, und Viktor und Emma waren so weit entfernt von dieser Möglichkeit, wie es nur ging.
    Ich konnte mir vorstellen, wie Tom sich fühlte – wie so ein Versager, den sein Vater schon immer in ihm gesehen hatte. Dabei entsprach das kein bisschen der Wahrheit. Sein Vater hatte ihn nicht nur erniedrigt, sondern ihm auch noch ein zwiespältiges Erbe aufgedrückt. So war es doch. Zwei Fliegen mit einer Klappe – einen Rechtsstreit vom Hals und einen unbequemen Sohn.
     
    Das Bild meines Vaters tauchte vor mir auf. Er war zwar immer gut zu mir gewesen, aber eines Tages hatte er das Haus verlassen und war nie wieder zurückgekehrt. Ich schüttelte mich, um die Erinnerung loszuwerden, und sprang vom Bett auf.
    Ich beschloss, zu Tom in die Kneipe zu gehen, obwohl es heute bestimmt nicht viel zu tun gab. Er brauchte mich. Ich war jetzt seine Vertraute, wahrscheinlich die einzige, die er hatte. Bei diesem Gedanken musste ich unwillkürlich lächeln.
     

Kapitel 22
     
    Ich betrat die Kneipe. Es war einiges los, jeder zweite Tisch besetzt, aber Tom konnte ich nirgends entdecken. Bestimmt war er kurz im Keller verschwunden. Ich ging hinter den Tresen, da kam er mir schon mit einer Kiste Bier entgegen. Ich lächelte ihn an. Aber er warf mir nur einen bitterbösen Blick zu.
    „Aus dem Weg“, rief er und drängelte sich an mir vorbei.
    Erschrocken wich ich zurück.
    „Hallo. Ich wollte fragen, ob du vielleicht Hilfe brauchst.“
    „Nein, geh nach Hause.“
    Er wuchtete den Bierkasten auf einen leeren Bierkasten an der Wand. Jetzt tauchte noch jemand aus dem Keller auf. Viktor. Er nickte mir freundlich zu, ging an mir vorbei und machte sich daran, leeres Geschirr von den Tischen einzusammeln. Wie es aussah, half er heute aus. Aber war das ein Grund, so abweisend zu sein?
    An der Theke standen Leute, die etwas bestellen wollten. Tom wandte sich ihnen zu, nahm die Bestellungen auf und dann zapfte er Bier. Mich schien er völlig vergessen zu haben. Also kam ich hinter der Theke hervor und verharrte unschlüssig im Raum.
    „Na dann, tschüss“, verabschiedete ich mich.
    Tom reagierte nicht. Stattdessen glotzte er ins Abwaschwasser und wusch seine blöden Gläser ab. Es war, als hätte es den gestrigen Abend überhaupt nicht gegeben.
    Ich spürte, wie sich Druck hinter meinen Augen aufbaute. Nein! Heulen kam nicht in Frage. Ich durfte das nicht auf mich beziehen. Wahrscheinlich hing sein Verhalten mit dem Besuch des Japaners heute Morgen zusammen. Tom hatte allen Grund, in miesester Verfassung zu sein. Aber trotzdem, ich …
    „Hey, Neve“, rief jemand hinter mir.
    Janus war hier? Ich drehte mich um und sah, dass er diesmal nicht an seinem Stammplatz, sondern auf der anderen Seite des Raumes saß. Er winkte mich herüber. Im Gegensatz zu Toms Gewitterstimmung war sein Lächeln wie die Sonne und tröstete mich ein wenig, während mir gleichzeitig mulmig war. Ich war ihm noch eine

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