Schattenmelodie
Mantel gedacht, bevor ich mich hier heraufgeschwungen hatte.
Das Fliegen funktionierte wieder und das Verschwinden auch. Zumindest so leidlich. Ich war mir nicht sicher, wie weit ich derzeit fliegen konnte, und hier oben war ich gleich wieder sichtbar geworden. Auf einmal sehnte ich mich sehr nach der magischen Welt. Ich wollte mit Kira plaudern, aber wegen der Lebenssymptome wusste ich nicht, ob ich die Reise durch den Durchgang gerade schaffen könnte.
Ich presste die Hand auf mein Herz. Würde ich mich je wieder daran gewöhnen, immer dieses Pochen zu hören oder zu spüren?
Sie ist nicht meine Freundin.
Warum hatte Tom das gesagt?
Weil es stimmte.
Schließlich war ich doch auch nicht seine Freundin. Was sollte er denn anderes sagen als die Wahrheit? Andererseits, wählte man so einen klaren und direkten Satz vor einer dritten Person, wenn man insgeheim gerne mit jemandem zusammenkommen wollte? Wohl doch nicht!
Allerdings … ach, meine Gedanken drehten sich im Kreis und waren nichts als müßig. Tom hatte mich in sein größtes Geheimnis eingeweiht und er fragte zuerst mich, ob er Charlie einweihen sollte. Das hieß doch, ich war wichtiger als Charlie. Oder etwa nicht?!
Den ganzen Abend verbrachte ich in der leeren Wohnung auf meiner Matratze und wartete, dass Tom kam und klopfte. Ich wollte ihn auf keinen Fall ein zweites Mal verpassen. Aber er kam nicht.
War er immer noch in der Kneipe? Oder war er schon zu Hause und ich hatte nur nicht gehört, dass er die Treppen hinaufgegangen war? Sollte ich nachsehen gehen? Unsichtbar oder ganz normal klopfen? Nein, er hatte mir doch versichert, er würde sich bei mir melden.
Ich hatte ordentlich eingeheizt und auch den Radiator im Bad auf die höchste Stufe gestellt. Jetzt hüllte ich mich in die Wolldecke, dazu trug ich Toms Pullover und vier Kerzen brannten, aber ich fror immer noch.
Ich aß Gretes Kekse, einen nach dem anderen, bis sie alle waren.
Und dann hatte das Warten ein Ende. Allerdings nicht, weil Tom endlich kam und an meine Tür klopfte, sondern weil ich ihn auf seinem Flügel spielen und Charlie dazu singen hörte. Zumindest versuchte sie es.
Anstatt zu mir, war er also zu ihr gegangen, hatte sie in sein Geheimnis eingeweiht und wie es schien, hat sie ihn nicht ausgelacht. Sie summte zu seinem Spiel, dann trällerte sie, dann probierte sie einen Text, von dem ich jedoch nur einzelne Wortfetzen verstehen konnte: Herz … Liebe … Dämmerung … Er hatte ihr also auch seinen Liedtext zu lesen gegeben.
Ich warf die Decke von mir und sprang wütend auf. Nein. Es klang nicht. Es klang überhaupt nicht. Charlies Stimme war schön, aber zu Toms Komposition: auf keinen Fall, ganz großer Mist!
Ich schnaubte trotzig und war irgendwie froh darüber. Sollte ich hochgehen, laut klopfen und erklären: ‚Passt nicht! Lasst es! Hört auf! Hättest du mich mal zuerst gefragt!‘
Oder sollte ich mich bei ihnen einschleichen und auf den Flügel in den Staub schreiben: Das Lied braucht keinen Text!
Dann wüsste Tom die Wahrheit und Charlie wäre Zeugin eines waschechten Psi-Phänomens.
Natürlich tat ich nichts dergleichen, sondern stand unentschlossen mitten im Zimmer. In mir herrschte eine unerträgliche Spannung. Ich öffnete ein Fenster und verflüchtigte mich nach draußen an die frische Luft. Unten in einem Hauseingang nahm ich Gestalt an und begann zu laufen. Einfach die Straßen entlang, um wieder ruhig zu werden und klarer denken zu können.
Vielleicht sollte ich sofort in mein Turmhaus zurückkehren. Abtauchen für ein paar Tage. Wenigstens Janus müsste ich dann aber Bescheid geben, ihm erklären, dass ich verreiste, jemanden besuchte, oder Ähnliches.
Allerdings wusste ich nicht, ob meine Kräfte ausreichten. Außerdem sollte ich morgen früh in der Kneipe aushelfen. Tom hatte mich darum gebeten. So könnte ich erfahren, wie er morgen drauf war und was er mir erzählen würde. Ich hoffte inständig, dass meine Eifersucht und meine negativen Befürchtungen völlig grundlos waren.
Ich lief noch eine Weile durch die Stadt, dann kehrte ich zurück. Bei Tom brannte kein Licht mehr und alles war still. Er schien zu schlafen. Sie hatten also nicht mehr allzu lange geprobt. Ich konnte nicht anders. Ich musste nachsehen, ob er allein war, und stattete ihm einen kurzen Besuch ab. Tom schlief tief und fest in seinem Bett und sah dabei wunderschön aus. Charlie war gegangen.
Kapitel 26
Am nächsten Morgen betrat ich kurz vor zehn Uhr die
Weitere Kostenlose Bücher