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Schattenmelodie

Schattenmelodie

Titel: Schattenmelodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Unruh
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auch die anderen Bilderbücher aus dem Regal. Die folgende Stunde wurde zu meiner schönsten Bilderbuchstunde, die ich je erlebt hatte. Wir lasen die Texte in den atemberaubend illustrierten Bildern und ließen uns gegenseitig Details darin suchen, die wir uns ausgeguckt hatten. Da waren zum Beispiel ein kleines rotes Doppeldeckerflugzeug oder das Café Max mit grüner Fassade und rotweißen Vorhängen, oder ein kleiner Hund mit langen Ohren, der auch ein Hase sein konnte. Die Motive kehrten in den verschiedenen Illustrationen und Büchern immer wieder. Alle handelten sie von fantastischen Welten, die parallel zur realen Welt existierten. Am liebsten hätte ich Janus jetzt einfach von der magischen Welt erzählt. War er nicht jemand, der davon erfahren musste? Der sie verstehen konnte? Der mir glauben würde?
    „Neve, wohin gehen deine Gedanken?“, fragte er mich auf einmal.
    „Oh, nichts. Diese Bücher … sie sind so schön … zum Träumen.“
    „Ach was! Sie sind wahr!“, antwortete er fröhlich und sprang auf. „Noch eine Apfelschorle? Die verstaubte Luft hier macht durstig, oder?“
    „Oh ja, das stimmt.“ Ich stand auch auf und streckte meine Glieder.
    Und da geschah es! Ich vernahm einen Donnerschlag, der mehrfach in meinen Ohren widerhallte. Zig mögliche Gründe für dieses Donnern stolperten in meinem Kopf übereinander: Krachte gerade ein Regal zusammen? Stürzten Bücher von den obersten Brettern? Gab es draußen ein Wintergewitter? Einen Verkehrsunfall? …?
    Es folgte ein zweites Donnern, dann ein drittes, und dann donnerte es Schlag auf Schlag, immer schneller. Es hallte und hallte in meinen Ohren. Aber es kam nicht von außen, sondern von innen!
    „Tom!“, hörte ich jemanden rufen. „Tom!“ Dann wurde mir schwarz vor Augen.
     
    Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf dem Sofa vor dem Kamin, die Beine angewinkelt auf einem großen Kissen und den Kopf ganz flach. Janus hockte neben mir und hielt mir ein feuchtes, kaltes Tuch auf die Stirn.
    „Da bist du ja wieder, Gott sei Dank“, sagte er.
    „Bum, bum, bum, bum“, hörte ich wieder die Schläge und griff mit beiden Händen nach meinem Brustbein.
    „Mein Herz“, flüsterte ich entsetzt. Mein Herz schlug wieder, und zwar wie verrückt.
    „Ganz ruhig“, sagte Janus. „Nur der Kreislauf. Ich hätte zwischendurch vielleicht mal lüften müssen.“ Ich sah, dass er alle Fenster und die Tür geöffnet hatte.
    „Mein Herz schlägt.“
    Janus schmunzelte. „Ja, und das ist auch gut so. Hast du dich irgendwie erschrocken, an etwas Schlimmes gedacht? Du hast nach Tom gerufen, kurz bevor du ohnmächtig geworden bist.“
    „Nach Tom?“
    „Ja. Hast du immer noch Stress mit ihm?“
    „Nein, ganz im Gegenteil. Er hat sich entschuldigt. Mit einer Blume.“
    „Einer Blume?“ Janus klang etwas irritiert.
    „Also, einem Weihnachtsstern. Und dann hat er lauter schöne Dinge gesagt.“
    „Schöne Dinge?“
    „Dass er mir vertraut und froh ist, dass ich da bin und …“
    Ich sprach nicht weiter, weil sich Janus’ Gesicht plötzlich zu verdüstern schien.
    „Was ist?“
    „Oh, nichts. Ich bin froh, dass euer Streit wieder in Ordnung gekommen ist. Er hat sich auch wirklich daneben benommen.“
    Janus nahm mir den Lappen von der Stirn.
    „Jetzt sehe ich deine Halsschlagader gar nicht mehr pochen. Geht es dir besser?“
    Tatsächlich. Ich spürte mein Herz noch, aber es beruhigte sich langsam. Ich nahm die Hände von meinem Brustbein. Janus legte vorsichtig seine Hand um mein Handgelenk.
    „Ich prüfe mal deinen Puls, wenn du nichts dagegen hast.“
    Ich schüttelte den Kopf. Mein Handgelenk wirkte nahezu zerbrechlich in seiner großen Hand. Und dann spürte ich auf einmal ihre Wärme. Ich spürte die Wärme von Janus! Unwillkürlich zog ich meinen Arm weg. Er sah mich verwundert an.
    „Dein Puls ist normal.“
    „Deine Hand ist warm“, antwortete ich und biss mir im selben Moment auf die Lippen. Was sollte er denn bloß mit dieser Erklärung anfangen? Janus sagte nichts dazu.
    „Ich schließ mal wieder die Fenster.“ Er erhob sich. „Vielleicht sollten wir Schluss machen für heute. Wir haben bereits eine Menge geschafft.“
    „Wir haben die halbe Zeit Bilderbücher angeguckt wie kleine Kinder“, erwiderte ich schuldbewusst.
    „Genau! Wir haben eine Menge geschafft.“ Jetzt lachte er wieder sein unbekümmertes Lachen. „Am besten, ich mache dir mal etwas Warmes. Vielleicht einen Pfefferminztee?“
    „Ja, gerne.“
    Ich

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