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Schattenmelodie

Schattenmelodie

Titel: Schattenmelodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Unruh
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überhaupt eine Chance?“
    In dem Moment schrie ich auf, sprang vom Stuhl, ließ die Papierschlangen fallen und starrte auf meine Hand. Blut quoll aus meinem rechten Zeigefinger. In dem Papiermüll musste sich eine Scherbe von einem Glas oder einer Flasche befunden haben. Frisches, hellrotes Blut. Ich hatte mich seit sieben Jahren nicht mehr verletzt, beziehungsweise hatte es seit dem nie geblutet. Niemals.
    „Oh, zeig mal her“, rief Tom erschrocken und sprang ebenfalls auf, aber ich drehte mich um, rannte auf den Ausgang zu und rempelte dabei einige Stühle um, weil ich mich nicht von dem Anblick meines Fingers losreißen konnte, an dem immer mehr Blut hinablief.
    „Neve“, rief Tom. „Warte! Ich habe Verbandszeug hier …“
    Ich riss die Tür auf und prallte gegen Grete, die gerade die Kneipe betreten wollte. „Da bist du ja. Ich muss dringend mit dir sprechen!“, rief sie erleichtert, starrte mich mit ihren großen Augen an und versuchte, mich festzuhalten.
    Aber ich schüttelte den Kopf, befreite mich aus ihrem Griff und preschte an ihr vorbei, um die Ecke, hinter den Lieferwagen, mit dem Tom seine Einkäufe erledigte. Dort löste ich mich mit letzter Kraft in Luft auf und schwang mich über die Bäume. Ich wollte fort, weit fort, einfach nur wieder nach Hause.
    Zurück blieben einige Blutstropfen auf dem Straßenpflaster und Tom und Grete, die auf der Straße nach mir suchten.
     

Teil II
     

Kapitel 27
     
    ‚Du blutest ja, du blutest!’, rief Lilonda, während sie neben mir herflatterte. Sie kam ganz dicht heran. ‚Blut …’, flüsterte sie fasziniert. ‚Darf ich mal sehen? Tut das weh?’
    Ich wich ihr aus. Mir war übel. Ich sah den dunkel schimmernden Ausschnitt zwischen den weißen Wolkenformationen vor mir. Wie ein Zeitloch, das nur ich wahrnehmen konnte. Dort war es schwarz, die Nacht der magischen Welt mit einigen glitzernden Sternen.
    Ich schlingerte durch die Luft, als würde ich mich durch Turbulenzen bewegen. Auf und ab und auf und ab. Mein Herz hämmerte wie wild. Am liebsten wäre ich es auf der Stelle losgeworden. Gleichzeitig spürte ich Todesängste. Und wenn ich gerade dabei war abzustürzen? Alles drehte sich um mich. Krampfhaft versuchte ich, mich auf das Ziel vor mir zu konzentrieren. Ich hatte es doch gleich geschafft, gleich. Wieder hörte ich Lilonda in meinem Kopf. Sie war fast immer zur Stelle, wenn ich den Durchgang passierte. Immer überschüttete sie mich mit tausend neugierigen Fragen über die Welt und die Menschen, wie ihr alltägliches Leben so war. Jede Kleinigkeit interessierte sie brennend.
    ‚Darf ich es mal anfassen, das Blut?’, fragte sie.
    Zum ersten Mal ging sie mir völlig auf die Nerven. „Nein!“, wollte ich schreien, aber dazu kam ich nicht mehr. Ich sackte weg, nach unten, begann wie ein Stein zu fallen, als hätte ich einen Strömungsabriss erlitten. Oh nein, das war das Ende.
    ‚Was hast du?’, rief Lilonda. Sie machte ein entsetztes Gesicht und es sah meinem Gesicht jetzt kein bisschen ähnlich.
    Ob es ihr eigenes ist?, war mein letzter Gedanke, der mir durch den Kopf schoss, dann gab es nichts mehr, nicht einmal den kleinen schwarzen Ausschnitt des magischen Nachthimmels, sondern komplette Schwärze legte sich um mich.
     
    Ein wilder Schmerz durchfuhr mein Gesicht. Ich gab einen gedehnten Schrei von mir. Das waren sie, rohe körperliche Schmerzen, so wie ich sie seit Jahren nicht mehr empfunden hatte. Ich hatte völlig vergessen, wie fürchterlich sie sich anfühlten. Wie konnte ich mich nur wieder in die Nähe von solchen Schmerzen begeben? Und vor allem, um welchen Preis?
    Für einen Menschen, der eine andere liebte.
    Dieser Gedanke tat fast noch mehr weh, sodass ich ihn sofort wieder verdrängte.
    Ich öffnete die Augen. Ich war nicht mit einem dumpfen Aufprall irgendwo auf dem Straßenpflaster der Stadt gelandet – das hätte ich auch mit Sicherheit nicht überlebt, sondern ich lag auf dem Felsvorsprung im magischen Wald, knapp vor dem Abgrund. Die Elementarwesen des Äthers schienen mich gerettet zu haben. Ich hob ein wenig den Kopf und starrte in das tiefe Blau des Berliner Himmels weit unter mir. Ein erneutes unerträgliches Brennen schoss durch meine Wange.
    ‚Jetzt blutest du auch an deiner Wange’, hörte ich wieder Lilondas Stimme. Sie schwebte wie ein Nebel mit nur sehr schwachen Gesichtskonturen vor mir über dem Abgrund.
    „Danke“, brachte ich nur flüsternd hervor.
    ‚Du musst nach Hause gehen und es abwaschen’,

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