Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenmelodie

Schattenmelodie

Titel: Schattenmelodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Unruh
Vom Netzwerk:
richtete mich ein wenig auf. Janus ließ Wasser in einen Wasserkocher laufen.
    „Immer, wenn ich bei dir bin, klappe ich zusammen. Was denkst du jetzt nur von mir?“, versuchte ich zu scherzen.
    „Ich denke vieles. Es gibt unendliche Möglichkeiten, weil ich so gut wie nichts von dir weiß. Außer, dass dein Vater auch in Polen geboren wurde.“
    Das Wasser im Wasserkocher brodelte. Er goss es auf einen Teebeutel in einem großen Glas und brachte es mir.
    „Ich rede nicht gern über meine Vergangenheit“, sagte ich, damit er nicht immer wieder fragte und sich wunderte, keine Antwort zu erhalten.
    „Ich weiß“, antwortete er.
     

Kapitel 25
     
    Schon aus einiger Entfernung hörte ich, dass das alte, verrußte und sich unter der Last des Alters duckende Haus sang. Ich lauschte der hohen, klaren und vor allem gefühlvollen Stimme. Sie schien sich für meine empfindlichen Ohren am Mauerwerk zu vervielfältigen, durch Räume und Flure zu dringen und aus jedem Fenster zu fliegen. Der verrostete Wetterhahn, oben auf dem Dach über dem halbrunden Dachfenster, drehte sich ein wenig im Wind, als würde er zu dem Gesang tanzen wollen.
    Ich drückte die Eingangstür auf und trat in den Hausflur. Gleich klang es noch lauter, reiner und voller. Erst jetzt erkannte ich die Stimme. Das musste Charlie sein! Ich folgte ihrem Gesang und stieg die Treppen hinauf. Er drang aus der Wohnung in der zweiten Etage. Die Wohnungstür war nur angelehnt. Ich schlich mich hinein.
    Charlie saß auf dem Fußboden und bastelte an irgendwelchen Gerätschaften. Sie hatte die Kopfhörer in die Ohren gestöpselt und schien die Welt um sich herum völlig vergessen zu haben. Es waren Lieder und Balladen von Katie Melua, die sie nahezu perfekt interpretierte. Sie legte so viel Gefühl und Sehnsucht hinein, dass ich unweigerlich seufzen musste und mir erschrocken die Hand vor den Mund legte. Aber Charlie hörte mich nicht. Sie hantierte mit ein paar Drähten und wiegte sich zu der Musik.
    Charlie war definitiv jemand, die bei dem, was sie tat, immer mit vollem Einsatz dabei war. Ich schaute ihr eine Weile versonnen zu und hätte beinahe einen Schreckensschrei ausgestoßen, als mir jemand die Hand auf die Schulter legte. Plötzlich stand Tom neben mir und bedeutete mir mit dem Zeigefinger vor dem Mund, nur ja keinen Laut von mir zu geben. Er nahm seine Hand wieder fort und ich fühlte seiner Berührung nach. Er hatte mich zum ersten Mal berührt!
    „Wunderschön, nicht wahr?!“, flüsterte er. Ich sah ihn an und dachte an seine Hand auf meiner Schulter. Aber dann wurde mir klar, dass er natürlich Charlies Gesang meinte.
    „Sie ist ein Naturtalent“, flüsterte ich.
    „Sie ist großartig.“
    Ein Piken schoss durch meine Herzgegend. Die ganze Nacht hatte ich mich damit beschäftigt, mein Herz wieder zu spüren. Janus hatte mir gestern Abend wegen meiner Kreislaufprobleme angeboten, zu bleiben und auf dem Sofa zu schlafen. Aber ich wollte nach Hause.
    Auf dem Heimweg hatte mein Herz bei jedem Schritt gepocht, als würde ich mich überanstrengen. Ich hatte versucht, mich unsichtbar zu machen, in der Hoffnung, dass es dadurch wieder zur Ruhe fand. Aber es funktionierte nicht.
    Was, wenn das meine Fähigkeiten beeinflusste? Was, wenn ich dadurch nicht mehr in die magische Welt konnte? Panik beschlich mich. Ich blieb stehen. Okay, erst mal durchatmen. Es half. Das tiefe Durchatmen beruhigte mein Herz und meine Nerven. Nein, meine Fähigkeiten konnte ich dadurch nicht verlieren, aber ich musste abwarten, bis sich meine Körperfunktionen umgestellt und wieder einreguliert hatten.
    „Ich habe gestern Abend mehrmals geklopft“, flüsterte Tom, dicht an meinem Ohr. „Aber du warst nicht da.“
    „Du wolltest mich besuchen?“, fragte ich erstaunt.
    „Ja, ich wollte dich fragen, ob du dir den Text anschauen würdest, den ich zu meinem Lied geschrieben habe und …“ Er sprach nicht weiter.
    „Oh, natürlich, ich komme gern. Ich bin gespannt. Sehr sogar. Wir können auch jetzt …“
    „Was meinst du?“, unterbrach mich Tom. „Ob ich Charlie von dem Lied erzählen sollte? Ich meine, sie wäre einfach die perfekte Stimme, oder nicht?!“
    Wieder verspürte ich einen Stich in meiner Herzgegend. Ich griff mir in die Seite. Es hörte auf. Ich bereute zutiefst, Toms Besuch verpasst zu haben. Warum war ich bei Janus so spät aufgebrochen! Ich war mir sicher, dass Tom vorgehabt hatte, mich zu fragen, ob ich das Lied singen würde. Aber nun, wo er

Weitere Kostenlose Bücher