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Schattenmelodie

Schattenmelodie

Titel: Schattenmelodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Unruh
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nicht bemerkte. Was ging hier vor sich?
    Dann kam der Absprungfelsen endlich in Sicht. Ich trat vorsichtig heran und schaute in die Tiefe. Mich befiel ein mulmiges Gefühl, wie ich es zuvor noch nie gehabt hatte, und ich wich zurück.
    Schon tauchte Lilonda vor mir auf. Auf sie war Verlass. Warum nur hatte sie eigentlich so einen Narren an mir gefressen? War ich vielleicht die Einzige, die ihr bereitwillig ihre vielen, vielen Fragen beantwortete? Vielleicht … Kim jedenfalls würde es sehr wahrscheinlich nicht tun. Nun, und Pio war bekanntlich in seiner eigenen Welt und redete nicht viel. Ich wusste nicht, wann er die magische Welt überhaupt das letzte Mal verlassen hatte. Eventuell vor Jahrhunderten. Ansonsten gab es nicht viele, die diesen Durchgang passierten. Höchstens ab und zu ein paar ehemalige Studenten, die jetzt wieder in der Realwelt lebten.
    ‚Oh, deine Wunde heilt’, rief Lilonda aus. Darf ich sie jetzt anfassen?
    Lilonda hatte heute wieder braune Locken, so wie ich, und blaue Augen. Und sie versuchte auch, meine Hose zu imitieren. Aber es sah doch mehr wie ein Rock aus. Ich glaube, ich war noch nie in einer Hose in der realen Welt unterwegs gewesen.
    „Ja, darfst du.“ Sofort strich ein Windhauch über meine Wange. Es war ihre Hand, die sie aus dem Dunst, der sie war, gebildet hatte.
    „Lilonda, ich wollte dir danken, dass du mich gerettet hast. Du warst es, nicht wahr?“
    ‚Ja, natürlich. Das musste ich tun. Du bist doch meine Freundin.’
    „Ach, Lilonda …“
    ‚Ich möchte auch eine Wunde haben’, unterbrach sie mich.
    „Empfehle ich dir nicht. Schmerzen sind etwas sehr Schlimmes. Aber ich habe etwas anderes für dich.“
    ‚Du hast was für mich?’ Sie klang ganz aufgeregt.
    „Ja, eine wichtige Aufgabe. Kannst du diesen Brief zu der Adresse bringen und dort in den Briefkasten stecken?“ Ich zeigte auf die Anschrift auf dem Umschlag.
    ‚Ich darf einen Brief überbringen? An einen Menschen? Oh … Wirklich? Ich?’
    „Ja. Du. Ich weiß, es ist nicht erlaubt, Elementarwesen mit solchen Aufgaben zu betrauen. Aber ich dachte, es könnte ja unser Geheimnis bleiben.“
    ‚Oh ja, Geheimnisse. Menschen haben oft Geheimnisse miteinander, nichtwahr?’
    „So ist es.“ Ich übergab ihr den Brief und staunte, wie kräftig sie ihn mir mit ihren Ätherhänden aus den Fingern zog.
    „Und, würdest du es sofort erledigen?“
    ‚Ja, absolut sofort.’ Lilonda sah gar nicht mehr mich an, sondern starrte wie hypnotisiert auf den Brief.
    „Okay, ich danke dir. Ich verlass mich auf dich. Bis bald.“
    ‚Bis bald.’
    Und schon sah ich sie in die Himmelstiefe, den dunklen Schlund der Berliner Nacht, hineintrudeln wie eine wendige Spirale aus Nebel. Das war also erledigt. Nun folgte der unangenehmere Teil meiner Vorhaben.
     

Kapitel 28
     
    Ich stand auf der Terrasse und klopfte mehrmals an die Tür von Kims Haus, einem stylishen Quader aus Granit, mit einer Glaswand zu einer Seite, aber niemand öffnete. Als ich mich umdrehte, um wieder zu gehen, stand Kim plötzlich vor mir. Sie war aus dem kleinen Garten neben ihrem Haus gekommen und hielt einen großen Strauß Tausendschönchen in der Hand. Dicke rosafarbene und weiße Blüten, die viel üppiger und flauschiger aussahen, als Tausendschönchen aus der Realwelt.
    Mich irritierten die Blumen in ihrer Faust. Kim tat solche weichen Dinge wie Blumenpflücken? Sie legte den Strauß etwas grob auf den kleinen Tisch, der neben dem Eingang stand, als fühlte sie sich ertappt.
    „Ich mag Tausendschönchen“, sagte ich, um ihr die Verlegenheit zu nehmen, und lächelte sie an. Aber das ging bei jemandem wie Kim einfach nur nach hinten los. Ihr Blick wurde eisig.
    „Was gibt es? Da du mich zum ersten Mal bei mir Zuhause aufsuchst, muss es wohl dringend sein.“
    „Ja, das ist es. Ich …“ Ich stockte, aber damit das Stocken nicht zu einem völligen Schweigen wurde, sprudelte ich einfach los und erzählte die ganze Geschichte von Grete und meiner Vermutung, dass sie Ätherfähigkeiten besaß.
    „Ich habe Angst, dass ich sie nicht richtig begleite. Deshalb wollte ich dich bitten, sich um sie zu kümmern.“
    Das war natürlich nicht der wahre Grund. Aber dass ich Grete wegen Liebeskummer in ihre Hände geben wollte, musste ich Kim ja nicht verraten. Es war mir einfach zu peinlich.
    Kim schwieg einige unerträgliche Minuten lang, nachdem ich geendet hatte, ihre eisblauen Augen auf mich gerichtet. Lange genug, dass ich mir dumm und naiv vorkam, sie

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