Schattenmelodie
ist und was nicht. Okay?!“
Ich war erschrocken, wie schroff ich klang.
„Okay“, sagte er und hob abwehrend die Hände. „Es tut mir leid.“
„Schon gut.“
Für einige Augenblicke schwiegen wir und schauten aneinander vorbei.
Dann fragte Janus vorsichtig: „Treffen wir uns trotzdem bald mal wieder?“
„Bestimmt“, druckste ich herum. „Du kannst mich ja besuchen kommen. Ich wohne im Turmhaus am Waldrand.“
„Ich möchte aber, dass du mich besuchen kommst und mir weiter mit den Büchern hilfst. Du hast es versprochen.“
Da schwang schon wieder mit, mich ins Leben holen zu müssen. Ich ignorierte es einfach.
„Mach’s gut Janus.“
Janus antwortete leise: „Auf Wiedersehen.“
Er drehte sich um und ging zurück in den Wald.
Dieser Abschied, nach all dem, was er mir anvertraut hatte, machte mich traurig. War ich unfair? Aber es ärgerte mich eben, dass er gekommen war, um mich zurückzuholen. Dass er sich einbildete, besser über mich Bescheid zu wissen, als ich selbst. Das stand ihm nicht zu. Außerdem hatte er mich angelogen. Er war magisch begabt und hatte mich im Dunkeln tappen lassen. Der Ärger kam nun wieder hoch.
Ich blickte in den Abgrund vor mir und verspürte keine Angst mehr, wie noch vor zwei Tagen. Alles war wieder normal. Ich breitete meine Arme aus und ließ mich von der Klippe in die Tiefe des Himmels fallen. Nein, ich würde Janus nicht in der Realwelt besuchen.
Kapitel 30
Geräuschlos glitt ich über die Dächer von Berlin. Es war ein lauer Wintermorgen. Über dem Weihnachtsmarkt hing noch der Duft von gebrannten Mandeln. Zum ersten Mal in all den Jahren nahm ich ihn von hier oben wahr.
Lilonda hatte mich bis zum Fernsehturm begleitet und mir von der Überbringung ihres ersten Briefes berichtet. Mit allen Details; wie sie den Deckel über dem Einwurfschlitz geöffnet und wie sie den Brief in den Briefkasten gesteckt hatte, und so weiter. Es klang wie das größte Abenteuer ihres bisherigen Daseins. Ich versprach ihr fest, an sie zu denken, wenn ich mal wieder einen Auftrag zu vergeben hatte.
Sollte ich das Haus am Wetterplatz von vorn oder von hinten betreten? Von hinten könnte ich gleich in Gretes Zimmer sehen, ob sie noch da war und heute etwa später zur Schule ging. Von vorne würde ich sie vielleicht noch auf dem Schulweg erwischen.
Es war Viertel vor acht. Ich näherte mich von der Straßenseite. Grete war weder in ihrem Zimmer noch bereits auf dem Schulweg. Also warf ich als Nächstes einen Blick durch das große Fenster des Dachbodens.
Und dort saß sie auf dem alten Metallbett, zusammengesunken, mit rundem Rücken, über den ihre ungekämmten Haare fielen. Oh je, das sah nach Krise aus. Ich schwang mich über das Dach zum Hinterhof und schlüpfte durch die Öffnung im Treppenhausfenster, dem eine Glasscheibe in der rechten oberen Ecke fehlte. Dann materialisierte ich mich und lief die Treppe zum Dachboden hinauf.
Die Wände strahlten eine unangenehme Kälte ab. In den letzten Nächten musste die Temperatur weit unter Null gesunken sein.
Vorsichtig schob ich die Tür auf und betrat den Dachboden. Grete blickte erschrocken auf. Sie hielt eine halbvolle Flasche Wein in der Hand. Neben ihr stand bereits eine leere Flasche. Die billige Sorte, die ihr Vater in mehreren Kisten neben seinem Bett hortet.
„Grete.“
Grete machte ein grimmiges Gesicht und drehte sich weg.
„Was willst du hier? Verschwinde. Ich will mit dir nichts mehr zu tun haben.“
Ich ging auf sie zu. Ihr Widerwille war mit Händen zu greifen.
„Es tut mir leid. Ich …“
„Du hast mich im Stich gelassen. Ich bin das gewohnt. Das machen alle.“
„Das stimmt“, sagte ich und sie sah mich irritiert an.
„Ja, ich hab dich im Stich gelassen. Ich war an dem Tag überfordert mit meinem eigenen Leben. Ich …“
In Gretes verhärtetem Blick blitzte kurz ein Funken Interesse auf, aber dann schaute sie wieder zur Seite.
„Was geht mich dein Leben an?“
„Nichts. Aber ich bin hier, weil ich dich nicht im Stich lassen will.“
„Klingt, als wärst du eine launische und unzuverlässige Person. Kann ich drauf verzichten.“ Grete nahm einen großen Schluck aus ihrer Weinflasche.
„Hast du heut keine Schule?“
„Ich hab nie wieder Schule.“ Grete hatte ihre Stimme nicht ganz unter Kontrolle und das früh um acht.
„Du hasst es, wenn dein Vater dauernd Wein trinkt.“
„Ich hab meine Meinung geändert.“
Ich setzte mich neben sie. Sie rückte provokativ ein
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