Schattennacht
»wurde ihm klar, dass er gefasst werden würde, und dazu war er zu feige. Er ist in die Garage gegangen, hat einen Schlauch an den Auspuff des Wagens dort gesteckt und ein Fenster einen Spalt weit geöffnet, um den Schlauch ins Innere zu führen. Das Mädchen hat er mit in den Wagen genommen. Es hat ihm offenbar nicht gereicht, sie so zurückzulassen; er musste sie mitnehmen.«
Das war das bittere Ende sinnloser Rebellion und einer extremen Eigenliebe, die nur dem Gesicht im Spiegel irgendwelche Autorität zubilligte.
»Dann hat er Angst bekommen. Er hat Bertha alleine im Wagen gelassen und ist ins Haus gegangen, um den Notruf zu wählen. Hat gesagt, er hätte sich umbringen wollen, und jetzt würde seine Lunge brennen und er bekäme keine Luft mehr. Dann hat er sich hingesetzt und auf den Rettungswagen gewartet.«
Ich öffnete die Augen, um in Schwester Angelas Augen Kraft zu finden. »Ma’am, heute Nacht und dann noch einmal heute Morgen hat jemand, den ich kenne, von der anderen Seite aus versucht, mich durch Justine zu erreichen … um mich vor dem zu warnen, was kommt, glaube ich.«
»Ich verstehe. Das heißt, ich glaube, ich verstehe. Ach, ist egal. Gott helfe mir, ich bin bereit, dir zu glauben. Sprich weiter.«
»Von einem Freund, der sich mit Zaubertricks beschäftigt, habe ich gelernt, wie man eine leichte Hypnose herbeiführen kann. Man braucht dazu nur eine Kette, an der eine Münze, ein Medaillon oder sonst etwas Glänzendes hängt.«
»Und was soll das bewirken?«
»Ein Kind, das tot war und wiederbelebt wurde, könnte als Brücke zwischen dieser und der nächsten Welt dienen. Wenn es leicht hypnotisiert ist, würde es dann zur Stimme dieser Person auf der anderen Seite, der es nicht gelungen ist, durch Justine zu mir zu sprechen.«
Schwester Angelas Gesicht umwölkte sich. »Aber die Kirche wendet sich gegen jedes Interesse an okkulten Dingen. Und wie traumatisch wäre das wohl für das Kind?«
Ich holte tief Luft und stieß sie wieder aus. »Ich werde es nicht tun, Ma’am. Sie sollen nur wissen, dass ich dadurch vielleicht erfahren könnte, was auf uns zukommt, und es deshalb doch tun sollte. Aber ich habe Angst, und ich bin schwach.«
»Du bist nicht schwach, Oddie. Da kenne ich dich besser.«
»Doch, Ma’am, bei dieser Sache muss ich Sie enttäuschen. Ich bringe es nicht fertig … nicht mit diesem Mädchen da drüben, das sich so sehr wünscht, einmal mit Hunden zu arbeiten. Es ist einfach zu viel für mich.«
»Da ist doch etwas, das ich noch nicht weiß«, sagte sie. »Was hast du mir verschwiegen?«
Ich schüttelte den Kopf. Mir fiel nicht ein, wie ich die Lage erklären sollte.
Romanovich griff nach seinem Pelzhut, den er auf Paulettes Bett geworfen hatte. »Schwester, Sie wissen doch, dass Mr. Thomas den Menschen verloren hat, den er am meisten liebte«, sagte er mit rauem Flüstern.
»Ja, Mr. Romanovich, das ist mir bewusst«, sagte sie.
»An jenem Tag hat Mr. Thomas viele Menschen gerettet, aber diesen nicht. Es war eine junge Frau mit schwarzem Haar und dunklen Augen. Auch ihre Haut hatte dieselbe Farbe wie die des Mädchens da drüben.«
Die Schlüsse, die er da zog, waren nur möglich, wenn er wesentlich mehr über mein Schicksal wusste, als in der Zeitung gestanden hatte.
In seinen unergründlichen Augen konnte ich immer noch nichts lesen. Jeder Zugang zu ihnen blieb mir verschlossen.
»Ihr Name«, fuhr er fort, »war Bronwen Llewellyn, aber den mochte sie nicht. Sie war der Meinung, das würde nach einem Kobold klingen. Deshalb hat sie sich Stormy genannt.«
Nun war er mir nicht mehr nur rätselhaft, ich war völlig perplex. »Wer sind Sie?«, fragte ich.
»Sie hat sich Stormy genannt, wie Bertha sich Sommer nennt«, sagte Romanovich. »Als Kind war sie missbraucht worden, von ihrem Adoptivvater.«
»Das weiß doch niemand!«, protestierte ich.
»Nicht viele, Mr. Thomas, aber eine Handvoll Sozialarbeiter schon. Körperlich hatte Stormy zwar keinen schweren Schaden genommen, und auch geistig war sie nicht zurückgeblieben, aber Sie werden verstehen, Schwester Angela, dass die vorhandenen Parallelen es momentan äußerst schwierig für Mr. Thomas machen.«
Äußerst schwierig, ja. Äußerst. Das merkte ich daran, dass mir kein einziger geistreicher Spruch in den Sinn kam, nicht einmal ein Fünkchen bitteren Humors oder ein fader, ätzender Witz.
»Mit der Frau zu sprechen, die er verloren hat«, sagte Romanovich, »und das auch noch durch ein Medium, das ihn
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