Schattennacht
Verlobte, die vor uns dran waren, bei ihren acht Versuchen ausschließlich schlechte Nachrichten erhalten hatten.
Weil die Zigeunermumie das, was in dieser Welt geschehen sollte, nicht korrekt vorhergesagt hat, da Stormy ja tot ist und ich alleine bin, weiß ich, dass die Karte bedeutet, wir werden in der nächsten Welt für immer zusammen sein. Dieses Versprechen ist mir wichtiger als alles andere.
Obwohl das aus dem Badezimmer fallende Licht nicht weit genug reichte, um die Worte auf der Karte erkennen zu können, las Romanovich sie trotzdem. Da er ein Traumrusse war, konnte er nämlich alles tun, was er wollte, genauso, wie Traumpferde fliegen und Traumspinnen die Köpfe von menschlichen Babys besitzen können.
Murmelnd und mit schwerem Akzent sagte er: »Es ist euch bestimmt, für immer zusammen zu sein.«
Seine ernste und doch wohlklingende Stimme hätte zu einem
Dichter gepasst, und die neun Worte klangen wie der Vers eines Gedichts.
Ich sah Stormy, wie sie an jenem Abend auf dem Rummelplatz ausgesehen hatte, und von da an drehte der Traum sich um sie, um uns, um eine wunderschöne Vergangenheit, die ich nicht mehr zurückholen kann.
Nach weniger als vier Stunden unruhigen Schlafs wachte ich auf, noch bevor es dämmerte.
Hinter dem Bleiglasfenster breitete sich ein schwarzer Himmel aus; Schneewirbel tanzten am Glas hinab. Auf den unteren Scheiben funkelten Frostblumen in einem seltsamen Licht, abwechselnd rot und blau.
Die Digitaluhr auf dem Nachttisch befand sich da, wo sie gestanden hatte, als ich ins Bett gesunken war, aber die gerahmte Karte vom Rummelplatz schien bewegt worden zu sein. Ich war mir fast sicher, dass sie aufrecht vor der Lampe gestanden hatte. Nun lag sie da.
Ich warf die Bettdecke von mir und stand auf. Im Wohnzimmer nebenan knipste ich die Lampe an.
Der Stuhl war immer noch unter den Knauf der Tür zum Flur geklemmt. Ich rüttelte daran. Fest und sicher.
Russland, so hatte ich gelesen, besaß eine reiche Tradition christlicher und jüdischer Mystik, die auch vom Totalitarismus nicht völlig ausgelöscht hatte werden können. Dennoch waren die Russen eigentlich nicht dafür bekannt, durch verschlossene Türen und solide Wände gehen zu können.
Das Fenster befand sich zwei Stockwerke über dem Boden und war über keinerlei Sims erreichbar. Als ich trotzdem den Riegel überprüfte, musste ich feststellen, dass er geschlossen war.
Auch wenn in meinem Traum keine in Flammen stehenden Nonnen oder Spinnen mit Babykopf vorgekommen waren, war es doch ein Traum gewesen. Nichts als ein Traum.
Am Fenster stehend, blickte ich nach unten und entdeckte den Ursprung des Lichts, das in der filigranen Eisschicht entlang der Glaskanten pulsierte. Während meines Schlafs hatte sich eine dicke Schneedecke über das Land gelegt. Drei Geländewagen, die alle das Wort SHERIFF auf dem Dach trugen, standen mit laufendem Motor in der Einfahrt. Aus ihren Auspuffrohren stiegen Dunstwolken, die Blinklichter blitzten.
Obwohl es noch immer windstill war, hatte der Schneefall nicht nachgelassen. Durch den Schleier aus kaltem Konfetti hindurch sah ich sechs weit voneinander entfernte Taschenlampen. Sie mussten sich in den Händen von für mich unsichtbaren Männern befinden, die koordiniert ausschwärmten, als suchten sie das Gelände vor der Abtei nach irgendetwas ab.
10
Als ich in eine lange Skiunterhose geschlüpft war, mir Jeans und einen Rollkragenpullover angezogen, meine Winterstiefel geschnürt und meine Funktionsjacke übergezogen hatte, die Treppen hinuntergelaufen war, den Aufenthaltsraum durchquert und die Eichentür zum Kreuzgang des Gästehauses aufgestoßen hatte, war die Dämmerung angebrochen.
Trübes Licht pinselte graue Tünche auf die Kalksteinsäulen, die den Hof umgaben. Unter der Decke des Kreuzgangs klammerte die Dunkelheit sich fest, als wäre die Nacht so unbeeindruckt von dem tristen Morgen, dass sie sich nicht zurückziehen wollte.
Im Hof stand schneebedeckt und ohne Winterstiefel der heilige Bartholomäus. In seiner ausgestreckten Hand bot er einen winterlichen Kürbis dar.
An der Ostseite des Kreuzgangs, also direkt gegenüber der Tür, aus der ich gekommen war, befand sich der Gästeeingang zur Abteikirche. Nicht von dorther hallten zum Gebet erhobene Stimmen und der Klang einer Glocke, sondern aus einem Gang zu meiner Rechten.
Vier Stufen führten hinauf in einen kurzen Flur mit Tonnengewölbe, der in den großen Kreuzgang mündete. Der von eindrucksvollen Säulen
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