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Schattennacht

Schattennacht

Titel: Schattennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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selten und zu dieser Stunde nie.
    Stirnrunzelnd hob Schwester Maria Regina den Blick zur Decke, um ihn dann in die Richtung des Glockenturms zu wenden. »Du liebe Zeit. Meinst du, Bruder Constantine ist wieder da?«
    Klar, wer sollte es sonst sein als der tote Mönch, der sich nach seinem Selbstmord trotzig an diese Welt klammerte.
    »Verzeihung, Schwester«, sagte ich und eilte aus der Küche. Dabei fummelte ich in den Taschen meiner Jeans bereits nach meinem Generalschlüssel.

24
    Nach der Errichtung der neuen Abtei war die Kirche des alten Gebäudes nicht säkularisiert worden. Zweimal täglich kam ein zum Priester geweihter Mönch herüber, um die Messe zu lesen. Die eine Hälfte der Schwestern nahm am ersten Gottesdienst teil, die andere am zweiten.
    Der verstorbene Bruder Constantine spukte fast ausschließlich in der neuen Abtei und deren Kirche. Er hatte zwar auch zwei bemerkenswerte Auftritte im Internat gehabt, aber ohne die Glocken in Gang zu setzen. Da er sich im neuen Kirchturm erhängt hatte, war sein rastloser Geist bisher immer dort erschienen, um Sturm zu läuten.
    Ich hielt mich an meine Warnung gegenüber Schwester Angela und ging nicht hinaus in den Sturm, sondern durch einen Flur im Erdgeschoss an den früheren Novizenquartieren vorbei. Durch eine Hintertür gelangte ich in die Sakristei.
    So laut die Glocken mir schon vorher vorgekommen waren, sie dröhnten doppelt so laut, als ich von dort aus in die Kirche trat. Von der gewölbten Decke hallte weder ein feierliches Weihnachtsläuten noch der vergnügte Klang von Hochzeitsglocken. Was sich hier austobte, war ein wütender Tumult der Bronzeklöppel, ein chaotisches Wummern und Scheppern.
    Im trüben Tageslicht, das durch die Buntglasfenster drang, stieg ich die Stufen des Chors hinab. Nachdem ich die Altarschranke hinter mir gelassen hatte, hastete ich durch den Mittelgang,
darauf bedacht, auf meinen Socken nicht auszurutschen.
    Meine Eile bedeutete keineswegs, dass ich mich auf eine weitere Begegnung mit dem Geist von Bruder Constantine freute. Der war in etwa so erfreulich wie Zahnschmerzen.
    Weil die lärmende Erscheinung sich hier statt in dem Turm abspielte, in dem er sich umgebracht hatte, stand sie womöglich irgendwie im Zusammenhang mit der Katastrophe, die den Kindern im Internat drohte. Bisher hatte ich praktisch nichts darüber in Erfahrung bringen können, und ich hoffte, dass Bruder Constantine den einen oder anderen Hinweis für mich parat hatte.
    Im Vorraum knipste ich das Licht an, wandte mich nach rechts und kam zur Tür des Glockenturms, die verschlossen war, falls eines der körperlich weniger behinderten Kinder unbeobachtet bis hierher gelangte. Hätte es dann den Turm erstiegen, so hätte es von der Brüstung oder der Treppe stürzen können.
    Während ich den Schlüssel im Schloss drehte, rief ich mir ins Gedächtnis, dass ich dort oben genauso in Gefahr war wie ein umherirrendes Kind. Es machte mir nichts aus zu sterben – und wieder mit Stormy vereint zu sein, ob das nun im Himmel war oder in dem unbekannten großen Abenteuer, das sie als Dienst bezeichnete –, aber bitte erst dann, wenn die Bedrohung für die Kinder erkannt und beseitigt war.
    Sollte ich diesmal wieder scheitern, sollten also manche verschont werden, während andere starben, wie es bei dem Amoklauf im Einkaufszentrum geschehen war, dann konnte ich an keinen Ort flüchten, der noch mehr Einsamkeit und Frieden versprach als ein Kloster in den Bergen. Und ihr wisst ja bereits, als was für einen Reinfall sich dieses Versprechen entpuppt hatte.
    Die Wendeltreppe im Turm war nicht geheizt. Unter meinen
Socken fühlten sich die mit Gummi beschichteten Stufen kalt an, aber schlüpfrig waren sie immerhin nicht.
    Hier erzeugte das tobende Geläut einen Widerhall, als wären die Wände das Fell einer von Donnerschlägen zum Dröhnen gebrachten Pauke. Als ich im Gehen die Hand an der gebogenen Wand entlanggleiten ließ, summte der Putz unter meinen Fingern.
    Am Ende der Treppe angelangt, merkte ich, dass meine Zähne vibrierten wie zweiunddreißig Stimmgabeln. Meine Nasenhärchen kitzelten, und die Ohren taten mir weh. Ich spürte das Dröhnen der Glocken bis in die Knochen hinein.
    Das war ein Hörerlebnis, wie es ein Heavy-Metal-Fan mit Haut und Haar genossen hätte. Bronzene Klangmauern polterten in betäubenden Lawinen auf mich herab.
    Ich trat in die Glockenstube, wo mich ein eisiger Lufthauch erfasste.
    Vor mir sah ich kein aus drei Glocken bestehendes

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