Schattennacht
Es
hätte mich nicht gewundert, wenn Julie Andrews im Nonnengewand hereingetanzt wäre, eine süße, kleine Kirchenmaus auf dem Handrücken, der sie etwas vorsang.
Als ich Schwester Maria Regina fragte, ob ich mir ein Sandwich machen könne, bestand sie darauf, es selbst für mich zuzubereiten. Sie schnitt zwei Stück Brot von einem dicken Laib und säbelte einen kleinen Stapel dünne Scheiben Roastbeef ab. Das Messer führte sie dabei so geschickt und vergnügt, dass es fast unschicklich für eine Nonne aussah. Anschließend schichtete sie Brot, Roastbeef, Schweizer Käse, Salat, Tomatenscheiben und gehackte Oliven zu einer schwankenden Köstlichkeit, drückte den Stapel mit einer Hand flacher, teilte ihn in vier Stücke, legte diese auf einen Teller und fügte eine saure Gurke hinzu. Bis ich mir am Spülbecken die Hände gewaschen hatte, war alles fertig.
In der Küche verteilt befanden sich mehrere Theken mit Hockern, wo man eine Tasse Kaffee trinken oder etwas essen konnte, ohne im Weg zu stehen. Auf dem Weg zu einem Hocker stieß ich unvermittelt auf Rodion Romanovich.
Der brummige Russe arbeitete an einer langen Granitplatte, auf der zehn Blechkuchen standen. Er war damit beschäftigt, sie mit einem Überzug zu versehen.
In seiner Nähe lag das Buch über Gifte und berühmte Giftmörder. Ungefähr bei Seite fünfzig war ein Lesezeichen eingeschoben.
Als er mich sah, runzelte er die Stirn und deutete auf einen Hocker neben sich.
Weil ich ein liebenswürdiger Bursche bin und andere Leute nur äußerst ungern beleidige, ist es mir peinlich, Einladungen auszuschlagen. Das galt auch jetzt, da diese Einladung von einem möglicherweise mordlüsternen Russen stammte, der sich zu sehr für meine Gründe interessierte, Gast in der Abtei zu sein.
»Nun, wie geht es mit Ihrer spirituellen Erneuerung vorwärts? «, erkundigte sich Romanovich.
»Langsam, aber stetig.«
»Da es hier in den Bergen keine Kakteen gibt, worauf wollen Sie da eigentlich schießen, Mr. Thomas?«
»Nicht alle Grillköche meditieren, während sie in der Gegend herumballern, Sir.« Ich biss in mein Sandwich. Fantastisch. »Manche knüppeln lieber auf irgendetwas ein.«
Ohne den Blick von dem ersten der zehn Kuchen zu heben, an dem er gerade arbeitete, sagte er: »Ich finde, dass Backen den Geist beruhigt. Es ist regelrecht kontemplativ.«
»Das heißt, Sie haben die Kuchen auch gebacken?«
»Ganz recht. Das ist mein bestes Rezept: Orangen-Mandel-Kuchen mit dunkler Schokoladenglasur.«
»Klingt köstlich. Und wie viele Leute haben Sie bisher damit vergiftet?«
»Ach, mit dem Zählen habe ich schon lange aufgehört, Mr. Thomas. Aber sie sind alle glücklich gestorben.«
Schwester Maria Regina brachte mir ein Glas Cola. Als ich ihr dankte, sagte sie, sie habe zwei Tropfen Vanilleextrakt hineingetan, weil ich das doch so mögen würde.
Sobald die Schwester davongegangen war, bemerkte Romanovich: »Sie sind allgemein beliebt, nicht wahr?«
»Das liegt nicht an mir, Sir. Es sind Nonnen. Die müssen zu allen Leuten nett sein.«
In Romanovichs Brauen schien ein hydraulischer Mechanismus integriert zu sein, mit dem sie sich stärker über seine tief liegenden Augen schieben konnten, wenn sich seine Stimmung verdüsterte. »Leute, die allgemein beliebt sind, finde ich normalerweise suspekt.«
»Abgesehen davon, dass Sie eine imposante Gestalt darstellen«, konterte ich, »sind Sie erstaunlich ernst für einen Hoosier.«
»Ich bin Russe von Geburt. Das ist ein Volk, das manchmal ziemlich ernst ist.«
»Irgendwie vergesse ich das ständig. Sie haben Ihren Akzent so stark verloren, dass man sie für einen Jamaikaner halten könnte.«
»Es wird Sie vielleicht überraschen, aber das ist mir bisher noch nie passiert.«
Der erste Kuchen war fertig. Er schob ihn zur Seite und zog das nächste Blech heran.
»Sie wissen doch, was ein Hoosier ist, oder?«, fragte ich.
»Als Hoosier werden Personen bezeichnet, die aus dem Staat Indiana gebürtig oder dort wohnhaft sind.«
»Die Definition steht bestimmt wortwörtlich so im Lexikon.«
Statt etwas zu erwidern, glasierte er einfach weiter.
»Da Sie aus Russland gebürtig sind und derzeit nicht in Indiana wohnen, sind Sie momentan eigentlich gar kein richtiger Hoosier.«
»Ich bin ein im Exil lebender Hoosier, Mr. Thomas. Wenn ich irgendwann nach Indianapolis zurückkehre, werde ich wieder ein hundertprozentig vollgültiger Hoosier sein.«
»Einmal ein Hoosier, immer ein Hoosier.«
»Ganz
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