Schattennacht
würde, einen Baseballschläger zu segnen, damit die Mannschaft, die ihn benutzt, ein Spiel gewinnt. Das gilt erst recht, wenn so ein Ding als Waffe dienen soll, um jemandem den Schädel einzuschlagen.«
»Ich hoffe inbrünstig«, sagte Bruder Kevin, »dass wir niemandem den Schädel einschlagen müssen. Bei der Vorstellung wird mir nämlich übel.«
»Du musst den Schläger einfach tief schwingen und die Typen am Knie erwischen«, riet Bruder Knoche. »Wenn du jemandem das Knie zertrümmert hast, ist der vorläufig keine Gefahr mehr, trägt aber keinen bleibenden Schaden davon. So was heilt wieder. Meistens.«
»Das heißt, wir haben hier ein ernstes moralisches Dilemma«, sagte Bruder Kevin. »Natürlich müssen wir die Kinder beschützen, aber irgendjemandem das Knie zu zertrümmern, ist keine besonders christliche Handlung, egal, welche theologischen Spitzfindigkeiten man sich ausdenkt.«
»Jesus«, rief Bruder Augustine in Erinnerung, »hat eigenhändig
die Händler und Geldwechsler aus dem Tempel getrieben. «
»Aber dass er dabei jemandem die Knie zertrümmert hätte, steht nirgendwo in der Heiligen Schrift.«
Bruder Alfonse sagte: »Vielleicht werden wir wirklich alle sterben.«
Ohne die Hand von meiner Schulter zu nehmen, bohrte Bruder Quentin weiter. »Dich hat doch nicht nur ein Drohanruf alarmiert, oder? Vielleicht … hast du ja Bruder Timothy gefunden. Ist das so, Odd? War er tot oder lebendig?«
Vorläufig wollte ich auf keinen Fall verraten, dass ich ihn tot und lebendig vorgefunden hatte, wobei er sich plötzlich in etwas verwandelt hatte, das nicht mehr er selber war. Deshalb erwiderte ich nur: »Nein, Sir, nicht tot oder lebendig.«
Quentin kniff die Augen zusammen. »Jetzt weichst du zum wiederholten Mal aus.«
»Woher wollen Sie das wissen, Sir?«
»Das sieht man dir an.«
»Inwiefern?«
»Jedes Mal, wenn du ausweichst, zuckt ganz leicht dein linkes Augenlid. Damit verrätst du dich.«
Als ich mich nach vorne drehte, um Bruder Quentin den Blick auf mein zuckendes Augenlid zu verwehren, sah ich, wie Boo ausgelassen vor uns den Weg entlangsprang.
Hinter dem tollenden Hund kam Elvis herbeigelaufen wie ein kleiner Junge, ohne eine Spur im frisch gefallenen Schnee zu hinterlassen. Er hatte die Arme in die Luft gehoben und wedelte mit beiden Händen wie die Mitglieder gewisser Kirchen, wenn sie Halleluja! rufen.
Boo verließ den geräumten Fahrweg und flitzte beschwingt über die Wiese. Lachend und jubelnd rannte Elvis hinterher. Dann verschwanden die beiden aus dem Blickfeld, weder beeinträchtigt
von der verschneiten Landschaft noch sie beeinträchtigend.
An den meisten Tagen wünsche ich mir, meine speziellen Fähigkeiten wären mir erspart geblieben. Ich wünsche mir, der Kummer, den sie mir eingetragen haben, könnte aus meinem Herzen verschwinden, und alles Übernatürliche, das ich gesehen habe, könnte aus meinem Gedächtnis getilgt werden. Dann könnte ich das sein, was ich – von diesen Gaben abgesehen – sonst bin: niemand Besonderer, nur eine Seele in einem Meer von Seelen, die mit der Hoffnung durchs Leben geht, am Ende jenseits aller Angst und aller Schmerzen Ruhe zu finden.
Ab und zu gibt es jedoch Momente, in denen es mir wert ist, diese Bürde zu tragen – Momente vollkommener Freude und unaussprechlicher Schönheit, in denen mich eine ehrfürchtige Verwunderung erfasst, oder, wie in diesem Fall, ein Anblick so voller Charme, dass die Welt mir heiler vorkommt, als sie es eigentlich ist.
Während Boo in der kommenden Zeit an meiner Seite bleiben würde, war Elvis wohl nicht mehr lange bei mir. Das Bild aber, wie die beiden begeistert durch den Sturm tobten, würde immer in mir lebendig bleiben, in dieser Welt und auch danach.
»Was ist los, Junge?«, fragte Knoche neugierig.
Ich merkte, dass ich lächelte, obwohl das gerade gar nicht zur Lage passte.
»Sir, ich glaube, der King ist allmählich bereit, aus dem Haus am Ende der Lonely Street auszuziehen.«
»Das ist das Heartbreak Hotel«, sagte Knoche.
»Genau. Es war ohnehin nie die Topadresse, an der er hätte auftreten sollen.«
Knoche strahlte. »Mensch, das ist aber toll, was?«
»Eindeutig«, stimmte ich ihm zu.
»Muss ein gutes Gefühl sein, dass du ihm das große Tor geöffnet hast.«
»Ich habe das Tor nicht geöffnet«, sagte ich, »sondern ihm nur gezeigt, wo der Knauf ist und in welche Richtung man ihn dreht.«
Hinter mir meldete sich Bruder Quentin: »Worüber sprecht ihr beiden da
Weitere Kostenlose Bücher