Schattennaechte
angerufen?«
»Heute Nacht? Wozu? Hätte ich dich aus dem Bett zerren sollen, weil sich irgendwo jemand unerlaubt auf einem Grundstück herumtreibt?«
»Sie hat dich zu Hause angerufen?«
»Ich habe ihr meine Karte gegeben. Was denn?«, sagte Mendez, als sein Partner die Augen verdrehte. »Sie ist neu in der Stadt. Sie kennt hier niemanden. Sie ist durch die Hölle gegangen. Und sie hat das Gefühl, dass das allen egal ist.«
»Bist du neuerdings der Vorstand des Begrüßungskomitees, Tony? Wird das jetzt eine feste Einrichtung in Oak Knoll? Jeder Neuankömmling kriegt seinen persönlichen Detective zugeteilt?«
»Rede keinen Unsinn«, sagte Mendez gereizt. »Es handelt sich hier um besondere Umstände. Ich versuche nur, mich wie ein anständiger Mensch zu benehmen.«
»Wenn du meinst.«
»Ja, meine ich.«
Mendez stand auf, warf den angebissenen Doughnut in den Abfalleimer und kippte den Rest seines Kaffees in die Spüle.
»Was hast du vor?«, fragte Hicks.
»Ich lasse das Foto im Labor auf Fingerabdrücke untersuchen. Vielleicht kommt ja was dabei raus«, erklärte Mendez. »Und ich werde der Reihe nach die Versorgungsbetriebe anrufen. Ballencoa mag ohne Telefon auskommen, aber ich wette, er hat einen Stromanschluss. Ich werde dieses Schwein zur Strecke bringen, und dann werde ich mit ihm ein Schwätzchen darüber halten, wie wir die Dinge hier in Oak Knoll angehen.«
24
»Mommy, ich mag Leah«, sagte Haley Leone und blickte zu ihrer Mutter hoch, während sie Hand in Hand den schattigen Pfad entlanggingen, der um den Spielplatz der Kindertagesstätte im Thomas Center herumführte.
Die Kindertagesstätte gab es jetzt seit knapp drei Jahren, sie stand allen Einwohnern von Oak Knoll offen und bot den Frauen, die an den Programmen des Thomas Center teilnahmen, die Möglichkeit, in einer Umgebung zu arbeiten, die ihnen in jeder Hinsicht guttat.
Anne brachte ihre Kinder an den Vormittagen hierher, an denen sie Sprechstunde hatte oder andere Dinge erledigen musste. Es war ein sicherer Ort, an dem die Kinder gut aufgehoben waren und ihnen jede Menge Aktivitäten geboten wurden.
Antony steuerte immer schnurstracks den Sandkasten an und begann, Sandberge aufzuhäufen, um dann mit seinen Spielzeuglastern dagegenzufahren. Haley, die ein bisschen schüchterner war, genoss es, erst noch einen kleinen Spaziergang mit Anne zu machen und sie ein paar Minuten für sich haben, bevor sie sich zu ihren Freundinnen an der Schaukel gesellte.
Anne lächelte. »Ich mag Leah auch. Sie ist nett, nicht wahr?«
»Ja, sehr nett. Sie hat mir gezeigt, wie man Haare flechtet. Sie hat gesagt, wenn sie bei einem Reitturnier mitmacht, muss sie ihrem Pferd die Haare auf eine bestimmte Art flechten, aber sie kennt noch viele andere Arten. Sie hat gesagt, dass jedes Pferd die Haare anders geflochten bekommt. Das will ich auch lernen. Darf ich, Mommy?«
»Ich weiß nicht, Schätzchen. Wir haben kein Pferd, an dem du üben kannst.«
Haley ließ sich von diesem Einwand nicht beirren. »Leah hat gesagt, sie zeigt es mir an ihrem Pferd. Wendy will es auch lernen. Vielleicht können wir Wendy wieder mal beim Reiten zugucken, und dann kann es uns Leah beibringen.«
»Vielleicht«, erwiderte Anne geistesabwesend, in ihre eigenen Gedanken über Leah Lawton versunken – sie war so still, so brav, aber gleichzeitig stand sie unter einer so großen Anspannung, dass Anne das Gefühl hatte, sie könnte bei der geringsten Berührung auseinanderbrechen. Es war, als würde sie sich selbst halten, um eine tiefe, offene Wunde zu schützen – was sie vermutlich auch tat. Keine körperliche Wunde, eine seelische.
» Vielleicht? «, sagte Haley in übertrieben verzweifeltem Ton. Sie drückte sich an Anne und sah sie mit einem flehenden Blick an, allerdings funkelten ihre dunklen Augen dabei. »Bitte, Mommy, bittebittebitte!«
Das schauspielerische Talent ihrer Tochter brachte Anne zum Lachen. »Wir werden sehen.«
»Och manno«, jammerte Haley, aber auch sie musste lächeln.
Das war ein kleines Spiel zwischen ihnen beiden. Ganz am Anfang, nachdem Haley in Annes Leben getreten war, hatte sie ihr erzählt, dass es immer Nein bedeutet hatte, wenn ihre leibliche Mutter »Wir werden sehen« sagte.
Anne lachte, beugte sich nach unten und gab ihrer Tochter einen Kuss auf den Scheitel, dabei atmete sie tief den Duft des Babyshampoos ein, den Haleys dunkle Locken verströmten. Heute Morgen hatte sich Haley selbst frisiert und ihre Haare zu zwei
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