Schattennaechte
nach dem Überfall aussah, als hätte mich ein Lastwagen überfahren. Es war mir egal. Aber manchen Frauen ist es nicht egal«, fuhr sie fort. »Ich kenne Leute, die sich große Mühe gaben, die Fassade aufrechtzuerhalten. Damit bürden sie sich eine schwere Last auf. Früher oder später bricht jeder zusammen und muss wieder ganz von vorn anfangen.«
»Wollen Sie damit sagen, dass ich der Konkurrenz voraus bin?«, fragte Lauren trocken.
»Ich will damit sagen, dass Sie genauso gut ehrlich sein können. Eine Fassade aufrechtzuerhalten kann schlimmer sein als jedes Gefängnis«, sagte Anne und musste dabei wieder an Leah denken. Sie fragte sich, was das Mädchen so krampfhaft zu verbergen versuchte.
Sie betraten das Gebäude und gingen durch das kühle, dämmrige Foyer in Annes Büro.
»Ich bin nur gekommen, um mich noch mal dafür zu bedanken, dass Leah gestern bei Ihnen übernachten durfte«, sagte Lauren. »War alles in Ordnung? Leah hat schon lange nicht mehr bei einer Freundin übernachtet.«
»Es ging ihr gut«, sagte Anne. »Ich habe in der Nacht ein paarmal nach den Mädchen gesehen. Nachdem sie aufgehört hatten zu kichern, schienen sie tief und fest zu schlafen.«
»Gut«, sagte Lauren leise. »In den letzten Jahren hat sie nicht viel zu lachen gehabt.«
Als Anne die Tür zu ihrem Büro öffnete, empfing der verführerische Duft von Kaffee und frisch gebackenen Blaubeermuffins die beiden Frauen.
»Mein Gott, riechen Sie das? Wenn mich die Köchin weiterhin so mästet, platze ich irgendwann«, sagte Anne mit einem leisen Stöhnen. »Leah ist ein tolles Mädchen«, fuhr sie auf dem Weg zur Kaffeemaschine fort, wo sie, ohne zu fragen, zwei Tassen einschenkte. Der Kaffee würde Lauren guttun, und sie würde sie auch dazu bringen, einen Muffin zu essen, und wenn sie sie füttern musste.
»Leah ist mir jederzeit willkommen«, sagte sie. »Antony und Haley waren begeistert von ihr. Falls sie sich mal ein bisschen Taschengeld dazuverdienen will, kann sie sich mit Wendy beim Babysitten abwechseln.«
Lauren runzelte die Stirn. Anne sah ihr die Besorgnis an.
»Vergessen Sie nicht, mein Haus ist gesichert wie Fort Knox. Es steht ununterbrochen unter Beobachtung, wenn Vince nicht da ist. Auch wenn wir nur unseren Ausgehabend haben. Wir überlassen nichts dem Zufall.«
»Eine gute Vereinbarung, die Sie da mit dem Büro des Sheriffs haben.«
Anne drückte ihr die Kaffeetasse in die Hand und forderte sie mit einer Geste auf, sich zu setzen.
»Der Sheriff und seine Leute gehören praktisch zur Familie«, erklärte sie und kam mit dem Teller Muffins zum Tisch. Sie streifte ihre Schuhe ab und machte es sich in einem Sessel bequem. »Vince arbeitet oft mit Sheriff Dixon und seinen Detectives zusammen, aber er nimmt kein Geld dafür, also revanchieren sie sich auf diese Weise.«
»Kennen Sie einen Detective Mendez?«, fragte Lauren vorsichtig. Sie konnte nicht widerstehen und trank einen Schluck Kaffee. Der aus der Tasse aufsteigende Dampf zauberte einen Hauch Röte auf ihre Wangen.
»Tony?«, sagte Anne überrascht. »Sehr gut sogar. Er ist der Patenonkel meines Sohns – und sein Namenspatron. Das ist eine lange Geschichte. Jedenfalls … Kennen Sie ihn?«
»Wir sind uns begegnet«, sagte Lauren in bewusst neutralem Ton. »Ist er ein guter Detective?«
»Ein ausgezeichneter. Vince wollte ihn damals für das FBI anwerben, aber dann hat sein Leben mehrere verrückte Wendungen genommen, und deshalb sind wir alle noch hier in Oak Knoll. Warum fragen Sie? Ist alles in Ordnung?«
Lauren betrachtete die Lehne ihres Sessels mit der Miene eines Menschen, der kurz vor einem hysterischen Lachanfall steht. Offensichtlich war nicht alles in Ordnung.
Bevor sie mit einer Lüge oder einer nichtssagenden Bemerkung antworten konnte, beugte Anne sich vor und sah ihr in die Augen.
»Lauren, ich weiß, wir kennen uns erst seit Kurzem, und ich bin sicher, dass Sie sich anderen Leuten gegenüber nicht leichter öffnen als ich«, sagte sie, »aber ich meine es ernst, wenn ich Ihnen anbiete, mir alles erzählen zu können. Sie müssen nicht als Patientin mit mir reden. Ich fühle mich Ihnen durch Wendy und Leah verbunden – und auch durch den Umstand, dass wir beide furchtbare Dinge erlebt haben.
Ich werde niemals über Sie urteilen. Ich werde niemals Ihre Gefühle hinterfragen. Und wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann, dann werde ich das tun.«
Lauren wich ihrem Blick noch immer aus. Ihre blauen Augen füllten sich mit
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