Schattennetz
Teil der Anweisungen mit seinem tragbaren Funkgerät an das Revier weitergab, machte Häberle noch auf einen weiteren Aspekt aufmerksam: »Wir dürfen nicht übersehen, dass der Täter auch hier am Brunnensteig wohnen könnte.«
Häberle nickte und sah die vielen Menschen, die inzwischen die Straße bevölkerten. Und er blickte in das aschfahle Gesicht des Villenbesitzers, dessen Dackel an der Leine zerrte. »Ich hab nichts gehört und nichts gesehen«, erklärte der Mann und wollte sich in Richtung seines Grundstücks entfernen.
Häberle lächelte. »Wir haben auch nicht von Zeugen gesprochen. Sondern vom Täter.«
33
»Da hauts dirs Blech weg«, kommentierte Häberles junger Kollege die Situation kurz nach sieben. Auch er war in der Nacht noch draußen gewesen. Dass sie schließlich im Fahrzeug von Korfus alle vier Projektile und im Böschungsbereich sogar die Hülsen gefunden hatten, galt immerhin als kleiner Erfolg. Doch bislang gab es niemanden, der in der Zeit zwischen Mitternacht und 1 Uhr dort verdächtige Wahrnehmungen gemacht hatte. Alle Bewohner waren erst durch das Hupen aufmerksam geworden.
»Die beiden hatten ein riesiges Glück«, stellte Häberle fest. »Ein Waffenexperte wird sicher mal ausrechnen, um wie viel das Auto zu schnell war, um die Einschläge auf Fahrerhöhe abkriegen zu können.«
»Oder um wie viel Millisekunden der Schütze zu spät abgedrückt hat«, meinte ein Kollege der Sonderkommission. Sie alle waren übermüdet und blass. Doch schlafen wollte niemand. Denn jetzt musste mit allem Nachdruck ermittelt werden. Jetzt oder nie.
»Wir drehen den Korfus durch die Mangel«, entschied Häberle. »Ich hab ihn heut Nacht noch geschont. Jetzt will ich alles über ihn wissen. Alles. Vergangenheit und Gegenwart. Und noch mal sein ganzes Umfeld. Dekanin, Kirchengemeinderat, Pfarrer. Es wird doch irgendeinen Menschen geben, der etwas über ihn weiß.« Häberle zögerte. »Und seine Frau natürlich. Ja, nicht zu vergessen seine Frau.« Es kam selten vor, dass der Chefermittler so energisch seine Anweisungen gab. Aber drei Tote und ein Mordanschlag innerhalb einer einzigen Woche, das würde in dieser Kleinstadt für erhebliche Unruhe sorgen. Ganz zu schweigen davon, wie viele Medienvertreter nun zusätzlich von auswärts angelockt wurden. Selbst Pressesprecher Uli Stock war in der Nacht noch an den Tatort geeilt, was schon ein Zeichen dafür war, wie brisant die Direktion im fernen Göppingen die Angelegenheit inzwischen einstufte.
Ein Kriminalist, der auf einem der Schreibtische saß, erhob sich und trat in die Mitte der zuhörenden Kollegenschar. »Bevor jetzt alle ausschwärmen, sollten wir uns noch mit neuen Erkenntnissen befassen. Ich hab da zwar alles in das System reingeschrieben.« Er deutete auf einen Computerbildschirm. »Aber ihr müsst es alle wissen.« Dann griff er zu einem Schnellhefter und schlug ihn auf. »Erstens: So schnell wie selten hat die Gerichtsmedizin ein vorläufiges DNA-Gutachten zu den Spurenfunden bei Frau Gunzenhauser übermittelt.« Er sah in die Runde und fügte ergänzend hinzu: »Die Mesnerin.« Den Hinweis quittierten einige Kollegen abschätzig. Ihnen brauchte man wirklich nicht schulbubenhaft Nachhilfeunterricht zu geben. »Sie stammen mit hoher Wahrscheinlichkeit von Rolf Czarnitz.«
Die Überraschung hielt sich in Grenzen. Eigentlich hatte sich nur bestätigt, was seit Langem vermutet worden war: Czarnitz war in der Kirche von der Mesnerin überrascht und erkannt worden, weshalb er sie umgebracht hatte.
»Volltreffer«, kommentierte deshalb auch nur einer der Kriminalisten.
»Ich weiß, das reißt euch nicht vom Hocker«, räumte der Referent ein. »Zweitens. Das Material, das wir am Stromkasten und an der Technik sichergestellt haben, reicht für keine DNA-Analyse aus, auch nicht das vom Schraubenzieher.«
»Wär auch zu schön gewesen, um wahr zu sein«, sagte Fludium lustlos.
»Aber vielleicht interessiert euch drittens eher«, fuhr der Ermittler mit dem Schnellhefter fort. »Die Gauck-Behörde, jetzt also Birthler, hat auch eine Mail geschickt.« Er blätterte weiter. »Simbach, Czarnitz und Korfus werden in der Akte eines unter dem Decknamen Holzapfel geführten Führungsoffizier erwähnt.«
»Holzapfel?«, echote eine Stimme.
»Mehr haben die Kollegen in der Behörde nicht rausfinden können. Sie geben uns Bescheid, sobald sie mehr über Holzapfel wissen. Aber zu den drei anderen finden sich ein paar aufschlussreiche Hinweise, die sie
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