Schattenpakt - Roland, L: Schattenpakt - Viper Moon (01 The Novel of the Earth Witches)
versuchte, ihr etwas anzutun. Das würde vielleicht ein Anblick sein. Sie würde ihn in der Luft zerreißen.
Ob nun Zufall oder nicht, so stellten die beiden Briefe doch eine Verbindung zwischen Flynns Schwester und Dacardis Sohn her, und meine Prioritäten sind klar, wenn es um Kinder geht. Das ist die Freude und gleichzeitig die große Tragödie meines Lebens. Denn ich kann nicht alle retten. Und zumindest bei den Zwölf- und Dreizehnjährigen hatte ich die Hoffnung, dass sie sich ihren Sinn für Moral bewahrten und selbst eine Möglichkeit fanden zu fliehen, wenn ich sie nicht finden konnte.
»Dacardi, ich suche nach vermissten Kindern. Ich tue es nicht für Geld.«
»Für was tun Sie es denn dann?«
»Es ist mein Job. Aber ich will Ihnen eins sagen … Sie warnen … Legen Sie sich nicht mit Abby an! Gehen Sie nach New York, und spucken Sie dem größten Boss ins Gesicht. Das ist ungefährlicher.«
Er ballte die Hände zu Fäusten, sagte jedoch nichts.
»Zeigen Sie mir Richards Zimmer«, forderte ich ihn auf. »Ich muss mich dort umsehen.«
Dacardi sagte einen Moment lang nichts, dann stand er auf und reichte mir seine Hand. Ich wollte ihn eigentlich nicht anfassen, aber ich wusste nicht, ob ich mich allein auf den Beinen halten konnte, deshalb ließ ich mich von ihm stützen. Es dröhnte in meinen Ohren, und der Raum schwankte, als ich aufstand … kam dann aber wieder zur Ruhe. Ich unterdrückte ein Wimmern. Als wir Richards Zimmer erreichten, konnte ich mittlerweile wieder ohne fremde Hilfe laufen.
Das Zimmer des Jungen war dreimal größer als meine Wohnung. Es befand sich in einem Turm, von dem aus man das Haupthaus und den Fluss sehen konnte. Nach Süden hin hatte man einen Panoramablick durch große Fenster. Jemand – wahrscheinlich seine Mutter – hatte den Versuch unternommen, die Wände durch einen hellblauen Anstrich weicher wirken zu lassen, doch an Wände und Decke geheftete Poster von Rockbands hatten das erfolgreich zunichtegemacht.
Dacardi zeigte auf Trommeln, Gitarren und Verstärker, die in einer Ecke standen. »Hatte ihn wegen des Lärms hierher verfrachten müssen.«
An einer Wand hing ein Fernsehbildschirm, der so groß wie mein Bett war, und drum herum standen weitere hervorragende, teuer aussehende elektronische Geräte. »Haben Sie das Zimmer durchsucht?« Es sah zu sauber und ordentlich für einen Teenager aus.
»Ja.«
»Warum ist alles so sauber und aufgeräumt?«
Dacardi zuckte die Achseln. »Das Hausmädchen.«
»Eine erfolgreiche Suche nach Richard hängt von Informationen ab. Hinweisen. Sie werden mir ein bisschen helfen müssen. Ihr Sohn hat nicht in einem Vakuum gelebt.« Ich deutete auf die Gitarre und die Trommeln. »Hat er mit jemandem zusammen gespielt?«
»Er hat bei einem Konzert ein paar Jungs kennengelernt. Sie kamen her und haben mit ihm zusammen Krach gemacht. Ich mochte sie nicht. Die waren beide ein paar Jahre älter. Ich weiß nicht, wie sie heißen.«
»Okay, lassen Sie ein paar von Ihren Gorillas kommen.« Ich setzte mich aufs Bett. »Sie können ein paar Nachforschungen für mich anstellen.«
Dacardi nickte.
»Fehlt irgendetwas?«, fragte ich.
»Nein. Ich glaube nicht. Ich hab seinen Rechner von so einem Computerfreak untersuchen lassen. Nichts.«
»Wusste der Computerfreak denn, wonach er suchen sollte?«
Dacardis Augen wurden ein bisschen größer. »Das bezweifle ich. Ich weiß ja nicht einmal, wonach ich suche.«
Seine Männer kamen und folgten meinen Anweisungen, auch wenn es bedeutete, dass sie alles so ließen, wie sie es vorfanden. Sie warfen mir finstere Blicke zu, behielten aber die ganze Zeit Dacardi im Auge. Bei einer wilden Suche, bei der das Unterste zuoberst gekehrt wurde, übersah man mehr, als man fand. Ich war mir sicher, dass es das letzte Mal so gelaufen war … und dass das Dienstmädchen hinterher das Durcheinander wieder beseitigt hatte. Ich ließ sie jedes einzelne Buch Seite für Seite durchgehen, alle Schubladen herausziehen und die Matratze umdrehen.
Während sie beschäftigt waren, musterte ich die Pinnwand. Richard hatte Veranstaltungszettel von vier Heavy-Metal-Nachtklubs aus verschiedenen Teilen der Stadt, darunter den Goblin Den, daran angeheftet.
»Sie lassen ihn in solche Läden gehen?«, fragte ich Dacardi.
»Nein. Ich habe ihn immer im Auge behalten.«
»Sie haben ihn selber im Auge behalten? Oder hat das einer von Ihren … Angestellten … übernommen?«
Er sah mich wütend an.
Die Suche förderte
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