Schattenpakt - Roland, L: Schattenpakt - Viper Moon (01 The Novel of the Earth Witches)
meiner Wange und hing mit dem Kopf über einer Schüssel mit dampfendem Wasser, in dem eine großzügige Menge widerlich stinkender Kräuter schwamm. Ich beschwerte mich nicht. Während das Wasser abkühlte, verflüchtigte sich mein Kopfschmerz, und ich konnte wieder klar denken. Ich atmete den Dampf ein und erzählte Abby von Flynns Schwester und Dacardis Sohn. Sie machte mir ein Sandwich und einen Becher Tee, um dann beides vor mich auf den Tisch zu stellen.
Unterhaltungen mit ihr wurden normalerweise von fröhlichem Lachen begleitet, aber heute hatte sie kaum etwas gesagt, seitdem ich gekommen war. Sie saß mir gegenüber, und nach einem Blick in ihre Augen wusste ich, dass Abby nicht mehr da war. Ich musste schlucken. Mutter Erde hatte von ihr Besitz ergriffen.
Mutter Erde ist mächtig, widersprüchlich, häufig schlecht gelaunt, und vielleicht hat sie eine Bestimmung, vielleicht aber auch nicht. Bisweilen wirkt sie absolut archaisch, als wäre sie von den Veränderungen, die die Zeit mit sich bringt, wie vor den Kopf geschlagen. Die Mutter erklärt mir nur selten etwas. Ich vermute, dass auch Abby manchmal etwas verärgert über sie ist.
Genau wie der Schatten tritt auch sie nicht in körperlicher Gestalt auf – zumindest weiß ich nichts davon. Aber auch da bin ich mir nicht sicher. Die Mutter hatte schon gelegentlich durch Abby mit mir gesprochen oder direkt in meinem Kopf. Aber das war selten und passierte nur im Verlauf traumatischer Ereignisse. Doch jetzt würde so eines wahrscheinlich wie eine Horde Flohmarktschnäppchenjäger an einem Sonntagmorgen über mich hereinbrechen.
»Zwei Kinder«, sagte die Mutter. »Eines gehört dem Warlord und das andere dem Guardian. Du musst sie vor dem dunklen Mond finden.«
Obwohl sie mit Abbys Stimme sprach, jagte mir die Macht, die darin mitschwang, einen Schauer über den Rücken. Doch ich hatte längst die Angst und Ehrfurcht der viel jüngeren Cassandra vor der geheimnisvollen und mächtigen Schutzpatronin überwunden.
»Warum?« Ich lehnte mich zurück und betrachtete sie mit einem Gesichtsausdruck, mit dem ich Abby nie angesehen hätte.
Ihr Mund, Abbys Mund, verzog sich, und Erbitterung machte sich auf ihrem Gesicht breit. »Frag nicht nach dem Grund, tu es einfach!«
Ich zuckte die Achseln. Abbys Heilkräuter hatten eine gewisse Leichtfertigkeit bei mir zutage gefördert. Ich war manchmal etwas aufbrausend, aber jetzt grenzte mein Verhalten an unverhohlenen Trotz. Sie hat mich nie zu irgendetwas gezwungen. Das ist nicht ihre Art. Sie fordert auch keine Verehrung.
»Willst du aus dem Gelübde entlassen werden, Jägerin?«, zischte die Mutter.
Ich warf die Hände in die Luft. »Was sollte ich denn sonst mit meinem Leben anfangen? Habe ich überhaupt ein Leben? Ich hatte einen schweren Tag – und eine schwere Nacht. Das ist alles.«
»Wenn du gelegentlich mal auf das hören würdest, was ich und Abigail dir sagen …«
»Wie bitte? Du bist doch immer noch sauer auf mich, weil ich mir eine Pistole besorgt habe, oder?«
Sie – oder eher Abbys Körper – richtete sich mit verkniffenen Lippen auf. »Diese Waffen sind nicht das richtige Mittel, um …«
»Du hast mich vor zehn Jahren mit einem Bronzemesser in die Barrows geschickt. Da war ich achtzehn. ›Gehe auf zu großen Taten, Cassandra‹, sagtest du damals. Du gibst rätselhaften Schwachsinn von dir … Warlord, Guardian. Warum kannst du mir nicht einfach sagen, was du willst? Ich habe nie auch nur einen Cent als Unterstützung von dir bekommen, und, verdammt, mir ist tatsächlich einmal das Benzin ausgegangen, als ich aus den Barrows flüchten musste. Ist dir eigentlich klar, wie schwer es ist, jemanden zu finden, der einen mitnimmt, wenn man von oben bis unten mit Monsterblut und Fäkalien bedeckt ist?«
»Ich bin nicht allmächtig, Cassandra.« Ihre Stimme war ganz sanft. »Ich habe dir alles gegeben, was mir erlaubt war.«
Erlaubt von wem? Aber ich wollte es nicht wissen. Auf keinen Fall. Es reichte mir, mich mit ihr herumschlagen zu müssen … Wie wäre es da erst mit einem … oder etwas, das noch mächtiger war.
Aber sie klang so, als hätte ich ihre Gefühle verletzt. Wie war so etwas möglich? Manchmal hätte ich schwören können, dass sie ein Mensch war. Ich lehnte mich zurück und machte ein böses Gesicht. »Ach, Mutter, ich bin dein. Deine Jägerin. Aber ich lebe im einundzwanzigsten Jahrhundert. Ich liebe dich und Abby, aber ich werde moderne Waffen benutzen, wenn ich sie
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