Schattenpakt - Roland, L: Schattenpakt - Viper Moon (01 The Novel of the Earth Witches)
gegenüber, die in Weiß gekleidet war. Intuitiv wusste ich, dass es sich bei der Gestalt um eine Frau handelte. Sie verbarg ihr Gesicht in den Falten ihrer Kapuze.
»Wer sind Sie?«, fragte ich. Ich dachte immer noch, ich würde träumen.
»Ich bin die Hüterin dieser Welt. Dies ist kein Traum, Tochter, du bist die Jägerin. Die Kleinen, die Verschwundenen, rufen nach dir. Wirst du sie suchen und finden?«
Das war der Moment, in dem ich Angst bekam. Ich wurde zu einem verängstigten, einsamen Kind.
»Gefahr erwartet dich, Jägerin. Aber ich werde dir Kraft geben, und du wirst mich vertreten.« Die Stimme der Frau wurde immer lauter in meinem Kopf – und in meinem Herzen breitete sich das Entsetzen eines Kindes aus. »Du wurdest in dieser Nacht geboren. Ich hörte deine ersten Schreie, sah deine Kraft und deinen Mut. Du wurdest von guten Eltern aufgezogen, man lehrte dich, was gut und böse ist und die Natur zu ehren. Jetzt musst du dich entscheiden, was für ein Leben du führen willst. Bei mir erwarten dich Schmerz, Furcht und Gefahr, aber du wirst dafür entschädigt werden.«
Ich kannte plötzlich die Freude eines Kindes, das gefunden worden war, und die Erleichterung von Eltern, die sich schon auf das Schlimmste eingestellt hatten. Ich schwor zu tun, was sie von mir wollte. Im Nachhinein kam es mir immer ein bisschen unfair vor, ein naives, achtzehnjähriges Mädchen vor so eine Entscheidung zu stellen – eine Wahl, die über ein normales Leben und die Gelegenheit entschied, zur Heldin zu werden. Na, worauf würde ihre Wahl wohl fallen?
Als ich am nächsten Morgen in meinem Bett erwachte, kam mir sofort eine Adresse in den Sinn. Missouri … zweihundert Meilen Richtung Norden in einem anderen Staat. Abbys Adresse. Zum Entsetzen meiner Mutter leerte ich mein Sparkonto und verließ die Farm am nächsten Tag.
Abby brachte mir alles bei, was sie über die Erdmutter, den Schatten und die Barrows wusste. Ich lernte Nofretete eines Nachts in den Barrows kennen, als sie dankenswerterweise ein Monster biss, das mich fast überwältigt hätte. Sie folgte mir nach Hause. Es dauerte nicht lange, und Horus und Nirah stießen zu uns. Ich wusste natürlich, dass sie keine Tiere oder Reptilien im wahrsten Sinne des Wortes waren. Ich sah sie als wertvolle Geschenke an. Wahrscheinlich waren sie mir von Mutter gesandt worden, obwohl sie es nie sagte. Alle verfügten in begrenztem Maße über die Fähigkeit, logisch zu denken und sich über tierische Instinkte hinwegzusetzen. Das war vor zehn Jahren.
Ich wünschte, ich könnte sagen, die Mutter hätte mich mit Superkräften ausgestattet, wie man sie von Filmhelden kennt. So ein altmodischer Röntgenblick und schicker Ganzkörperanzug, durch den weder Klauen noch Zähne dringen, wären nett gewesen. Allerdings ließ sie mir Körperkraft, Ausdauer und Reaktionsschnelligkeit angedeihen. Nicht unbedingt toll, aber ich könnte es jederzeit mit einem außerordentlich starken Gewichtheber oder einem Langstreckenläufer aufnehmen. Materielle Dinge hat sie mir nie zukommen lassen, deshalb meine Armut. Wenn man mal ihr gelegentliches Nörgeln weglässt, mischt sie sich eigentlich wenig in mein Leben ein.
Ich habe meine Entscheidung, die Jägerin zu werden, nie bereut. Das Suchen passt zu meinem Wesen und fühlt sich richtig an. Aber ich wünschte, ich hätte das Kleingedruckte im Vertrag gelesen, ehe ich unterschrieb. Und von den versprochenen Entschädigungen habe ich auch verdammt wenig gesehen.
Um neun Uhr duschte ich und zog Jeans und ein himmelblaues T-Shirt an. Irgendwann früher, als meine Taschen nicht so leer gewesen waren, hatte ich mir eine teure Abdeckcreme gekauft. Da mir jetzt dank Carlos Dacardi finanzielle Mittel zur Verfügung standen, trug ich eine großzügige Menge davon auf meinem Gesicht auf. Die meisten Prellungen deckte sie ab. Dann reinigte ich meine Pistole und schliff meine Messer.
Die Pistole, wegen der sich Abby und die Mutter so aufregten, war schwarz und lag schwer in meiner Hand. Würden meine Schutzherrin und meine Ratgeberin sich wohler fühlen, wenn ich mit Breitschwert und Schild durch die Barrows zöge? Vielleicht. Der Händler, bei dem ich meine Munition kaufe, fertigt meine Bronzekugeln von Hand. Er behauptet, dass er dafür seine eigene magische Rezeptur habe, und verlangt das Zwanzigfache von dem, was normale Munition kostet. Ich zahle seinen Preis und stelle keine Fragen. Ich weiß nicht, warum die Mutter die Pistole so sehr hasst. Aber
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