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Schattenpferd

Titel: Schattenpferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag
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einzunehmen. Seabright hätte es Hughes erzählen können, weil ihm sein Kunde wichtiger war als seine Stieftochter.
    »Dass Sie nicht diejenige sind, die Sie zu sein scheinen«, erwiderte Hughes.
    »Wer ist das schon?«
    »Guter Standpunkt, meine Liebe.«
    Er kam aus der Box, und wir gingen ans Ende des Ganges und schauten hinaus. Der Himmel war grau geworden, und es sah nach Regen aus. Auf der anderen Seite der Straße schlug das Wasser der Lagune kleine silbrige Wellen in der aufkommenden Brise.
    »Und wer sollte ich sein – wenn ich nicht die bin, die ich zu sein scheine?«, fragte ich.
    »Eine Spionin«, antwortete er. Er schien nicht nervös zu sein, sondern wirkte seltsam ruhig. Vielleicht war er es ebenfalls leid, das Spiel zu spielen. Ich fragte mich nur, ob er eine der Schlüsselfiguren in all dem war oder einfach nur zugelassen hatte, sich von der Strömung eines anderen mitreißen zu lassen.
    »Eine Spionin? Das ist ja aufregend«, sagte ich. »Für ein fremdes Land? Für eine Terroristenzelle?«
    Hughes zuckte übertrieben mit den Schultern, legte den Kopf schräg.
    »Ich wusste, dass ich Sie kenne«, sagte er leise. »Ich konnte nur das Gesicht nicht richtig einordnen. Das alte Hirn ist nicht mehr so flink wie früher.«
    »Ein Hirn zu verwüsten ist etwas Schreckliches.«
    »Ich ließe mir ja eins transplantieren, aber ich vergesse dauernd anzurufen.«
    Es ist schrecklich, dachte ich, als wir da so nebeneinander standen. Trey Hughes hatte alles gehabt: gutes Aussehen, wachen Verstand, Geld, um alles zu machen oder alles werden zu können. Und er hatte sich entschieden, das hier zu sein: ein alternder, alkoholsüchtiger Nichtsnutz.
    Komisch, dachte ich, Leute, die mich seit langem kannten, könnten dasselbe sagen: Sie hatte alle Vorteile , kam aus einer so guten Familie und hat das alles weggeworfen . Wofür? Schau sie dir jetzt an . Was für eine Schande .
    Wir können nie in das Herz eines anderen hineinschauen, können nicht wissen, was ihm Kraft gibt, was ihn zusammenbrechen lässt, wie er Mut oder Rebellion oder Erfolg definiert.
    »Woher meinen Sie mich zu kennen?«, fragte ich.
    »Ich kenne Ihren Vater, habe über die Jahre gelegentlich seine Dienste in Anspruch genommen. Der Name hat mich drauf gebracht. Estes. Elle. Elena Estes. Sie hatten mal eine wundervolle Mähne«, sinnierte er. Sein Gesicht nahm einen versonnenen Ausdruck an, während er durch den Nebel seiner Erinnerungen starrte. »Ein Freund hat mir gesagt, Sie seien jetzt Privatdetektivin. Man stelle sich das mal vor.«
    »Das stimmt nicht. Rufen Sie die Lizenzvergabestelle an und fragen Sie nach. Dort bin ich vollkommen unbekannt.«
    »Kein schlechtes Geschäft«, fuhr er fort, überging meinen Einwurf. »Der Himmel weiß, dass es hier nie einen Mangel an Geheimnissen gibt. Die Leute tun alles für einen Dime.«
    »Ein Pferd töten?«, fragte ich.
    »Ein Pferd töten. Eine Karriere zerstören. Eine Ehe zerstören.«
    »Einen Menschen töten?«
    Der Vorschlag schien ihn nicht zu schockieren. »Die älteste Geschichte der Welt: Habgier.«
    »Ja. Und es endet immer auf dieselbe Weise: schlimm.«
    »Für jemanden«, sagte er. »Der Trick ist, nicht dieser Jemand zu sein.«
    »Welche Rolle spielen Sie in diesem Stück, Trey?«
    Er brachte ein müdes Lächeln zu Stande. »Den traurigen Clown. Alle Welt liebt den traurigen Clown.«
    »Ich bin nur an dem Bösewicht interessiert«, sagte ich. »Können Sie mir die Richtung zeigen?«
    Er versuchte zu lachen, hatte aber nicht die nötige Energie dafür. »Klar. Gehen Sie ins Spiegelkabinett und dann nach links.«
    »Ein Mädchen ist tot. Erin Seabright ist entführt worden. Das ist kein Spiel.«
    »Nein. Kommt mir mehr wie ein Film vor.«
    »Wenn Sie etwas wissen, ist jetzt der richtige Zeitpunkt, damit rauszurücken.«
    »Schätzchen«, meinte er und schaute hinaus aufs Wasser. »Wenn ich etwas wüsste, wäre ich nicht dort, wo ich heute bin.«
    Er wandte sich von mir ab, ging zu seinem Cabrio und fuhr langsam davon. Ich sah ihm nach, dachte, ich hätte von Anfang an falsch gelegen mit meiner Vermutung, alles sei auf Jade zurückzuführen. Alles war auf Trey Hughes zurückzuführen – der Landverkauf durch Seabright, Erins Job bei Jade, Stellar. Alles führt zu Trey zurück.
    Und daher lautete die Zehntausend-Dollar-Frage: Befand er sich im Auge des Sturms, weil er der Sturm war, oder hatte sich der Sturm um ihn herum gebildet?
    Trey war schon immer ein Schürzenjäger. Das war kein

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