Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schattenpferd

Titel: Schattenpferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag
Vom Netzwerk:
klingelte ein Handy mit der Melodie der Ouvertüre zu Wilhelm Tell. Paris Montgomerys Handy. Und das Geräusch kam nicht aus der Kassette vor mir, sondern aus einer Schublade über meinem Kopf.
    Mit dem Saum meines T-Shirts wischte ich meine Fingerabdrücke vom Kassettendeckel, stand auf und öffnete die oberen Schubladen. Die Rufnummernanzeige auf dem Display zeigte einen Namen: Dr. Ritter. Ich stellte das Handy aus, befestigte es am Bund meiner Jeans und ließ das T-Shirt darüber fallen. Dann schloss ich die Schublade und schlüpfte aus der Sattelkammer.
    Javier war immer noch mit dem Grauen beschäftigt, striegelte sein Fell. Das Pferd döste, genoss das Striegeln, wie man eine gute Massage genießt.
    Ich trat in den Boxeneingang, stellte mich ordentlich auf Spanisch vor und fragte höflich, ob Javier wisse, wo ich Mr. Jade finden könne.
    Er sah mich aus den Augenwinkeln an und sagte, er wisse es nicht.
    In letzter Zeit geschahen eine Menge schlimmer Dinge, sagte ich.
    Ja, sehr schlimm.
    Schrecklich, was mit Jill passiert war.
    Schrecklich.
    Hatten die Detectives ihn gefragt, was er vielleicht wüsste?
    Er wollte nichts mit der Polizei zu tun haben. Er hatte nichts zu sagen, war an jenem Abend bei der Familie seines Cousins gewesen. Er wusste gar nichts.
    Zu dumm, dass Señor Jade an dem Abend nicht zum Nachtcheck vorbeigekommen war und den Mord verhindert hatte.
    Oder Señora Montgomery, sagte Javier und striegelte weiter.
    Natürlich dachten manche Leute, Señor Jade sei der Schuldige.
    Die Leute nehmen immer gern das Schlimmste an.
    Ich hatte auch gehört, dass die Detectives mit Van Zandt gesprochen hätten. Was hielt er davon?
    Javier hielt sich nur an seine Arbeit, von der es mehr als genug gab, wo jetzt beide Mädchen weg waren.
    Ja, das andere Mädchen war auch weg. Hatte er Erin Seabright gut gekannt?
    Nein. Die Mädchen übersahen ihn, weil er nicht gut Englisch sprach.
    Das macht es schwierig, erwiderte ich. Die Leute haben keinen Respekt vor einem. Es kommt ihnen nie in den Sinn, dass man dasselbe empfinden könnte, weil sie kein Spanisch sprechen.
    Junge Mädchen denken nur an sich selbst und an die Männer, hinter denen sie her sind.
    Erin hatte ein Auge auf Señor Jade geworfen, nicht wahr?
    Ja.
    Hatte Señor Jade auch ein Auge auf sie geworfen?
    Keine Antwort.
    Oder vielleicht Van Zandt?
    Javier machte nur seine Arbeit. Er kümmerte sich nicht um die Angelegenheiten anderer Leute.
    Das ist immer das Beste, stimmte ich zu. Warum sich die Probleme anderer aufhalsen? Man musste doch nur an Jill denken. Sie hatte gesagt, sie wisse etwas über Stellars Tod, und prompt war es mit ihr vorbei.
    Die Toten reden nicht.
    Sein Blick flackerte an mir vorbei. Ich drehte mich um und sah Trey Hughes auf mich zukommen.
    »Meine Güte, Ellie, Sie sind eine Frau mit vielen Talenten«, sagte er. Hughes wirkte gedämpft, war nicht in seiner üblichen betrunkenen, jovialen Stimmung. »Sie sind ja polyglott.«
    Ich hob eine Schulter. »Eine Sprache hier, eine Sprache dort. Das lernt doch jedes Mädchen im Internat.«
    »Ich hab schon mit Englisch meine Schwierigkeiten.«
    »Sie reiten nicht?«, fragte ich mit Blick auf seine lässige Kleidung. Chinos, Polohemd, Yachting-Schuhe.
    »Paris reitet ihn heute«, erwiderte er, streckte die Hand an mir vorbei aus und tätschelte die Nase des Grauen. »Sie kann all die Verwirrung aus ihm rausholen, in die ich ihn bei der letzten Reitstunde am Freitag gestürzt habe.«
    Er betrachtete mich und hob die Augenbraue. »Sie sehen heute aber auch nicht aus wie sonst.«
    Ich spreizte die Finger. »Meine Verkleidung als eine aus dem gemeinen Volk.«
    Er reagierte mit einer Art schläfrigem Lächeln. Ob er wohl den Stimmungsfahrstuhl mit ein wenig chemischer Hilfe nach unten befördert hatte?
    »Ich hab ein kleines Gerücht über Sie vernommen, junge Dame.« Er beobachtete mich aus dem Augenwinkel, während er das Pferd mit einem Büschel Heu fütterte.
    »Wirklich? Ich hoffe, es war was Unanständiges. Hab ich mit jemandem eine Affäre? Mit Ihnen?«
    »Haben Sie das? Das ist das Elend, wenn man alt wird«, sagte er. »Ich hab zwar nach wie vor Spaß, aber ich kann mich hinterher an nichts mehr erinnern.«
    »Dann ist es immer neu und frisch.«
    »Sie Optimistin«
    »Was haben Sie denn nun über mich gehört?«, fragte ich, mehr daran interessiert, von wem er es gehört hatte. Van Zandt? Bruce Seabright? Van Zandt würde die Neuigkeit verbreiten, um die Leute seinetwegen gegen mich

Weitere Kostenlose Bücher