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Schattenpferd

Titel: Schattenpferd
Autoren: Tami Hoag
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Menschen sind, und meist nicht in positivem Sinne.

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    Wir können die Lebensqualität anderer nicht beurteilen, obwohl wir selten der Versuchung widerstehen, Annahmen zu machen und Urteile auszusprechen. Viele Frauen hätten Krystal Seabrights Leben aus der Entfernung betrachtet und angenommen, dass sie es geschafft hatte. Großes Haus, schickes Auto, Karriere auf dem Immobilienmarkt, Bauunternehmer als Gatten. Auf dem Papier sah das gut aus. Die Geschichte hatte sogar einen Aschenputtelaspekt: allein erziehende Mutter mit zwei Töchtern, die den Prinzen gefunden hat, et cetera, et cetera.
    Das Gleiche galt für die offenbar gut betuchten Leute, die viertausend wertvolle Pferde im Reiterzentrum stehen hatten. Champagner und Kaviar als täglichen Snack. Ein Hausmädchen in jeder Villa, einen Rolls in jeder Garage mit Platz für fünf Autos.
    Die Wahrheit war vielschichtiger und weniger glamourös. Es gab persönliche Geschichten voll hässlicher kleiner Verwicklungen: Unsicherheiten und Abhängigkeiten und Untreue und Bankrott. Es gab Menschen, die mit Träumen und ein paar Cents zur Saison in Florida kamen, das ganze Jahr über jeden Penny sparten, damit sie sich eine miese Bude mit zwei anderen Reitern teilen, ein paar teure Stunden bei einem namhaften Trainer nehmen und ihr mittelmäßiges Pferd bei den Amateuren vorführen konnten. Da waren zweitklassige Berufsreiter, die eine zweite Hypothek auf ihren Reitstall am Arsch der Welt laufen hatten, bei den großen Ställen herumhingen und hofften, einen wohlhabenden Kunden oder zwei aufzugabeln. Es gab Pferdehändler wie Van Zandt: Hyänen, die ums Wasserloch schlichen, auf der Suche nach geschwächter Beute. Das üppige Leben hat viele Grauschattierungen unter dem Goldblatt. Jetzt hatte ich den offiziellen Auftrag, ein paar der dunkleren Ranken auszubuddeln.
    Ich hielt es für das Beste, so viel Zeit wie möglich in der Nähe von Jades Stall zu verbringen, bevor jemand von seinen Leuten mit einer Ausgabe von Sidelines aufs Klo ging und mit einer Offenbarung herauskam. Ich hatte genug Zeit als verdeckte Agentin des Drogendezernats verbracht, um zu wissen, dass die Chancen dafür gering waren, aber trotzdem. Menschen sehen das, worauf sie programmiert sind, und halten selten nach etwas anderem Ausschau. Aber bei der verdeckten Arbeit eines Polizisten besteht stets die Gefahr, enttarnt zu werden. Das kann jeden Augenblick geschehen, und je verdeckter man arbeitet, desto schlimmer.
    Meine Strategie bei dieser Arbeit hatte immer darin bestanden, so viele Informationen wie möglich zu bekommen, und das so schnell wie möglich; meine Illusion kühl und rasch zu skizzieren. Die Zielperson zu verwirren, sie nahe herankommen zu lassen, dann zuzuschlagen und abzuhauen. Meine Vorgesetzten im Büro des Sheriffs hatten über meine Methoden die Stirn gerunzelt, weil man so was eher von Hochstaplern als von Polizisten gewöhnt war. Aber über die Ergebnisse hatten sie nicht die Stirn gerunzelt.
    Seans Parkausweis baumelte immer noch an meinem Rückspiegel, und der Wächter winkte mich ohne weiteres am Torhaus vorbei in den Mahlstrom der Tagesschicht auf dem Wellingtoner Turnierplatz. Überall Pferde, Menschen, Autos, Golfwagen. Es lief ein Turnier, das bis Sonntag dauern würde. Pferde und Ponys sprangen auf einem halben Dutzend Parcours über die Hindernisse. Das Chaos war für mich von Vorteil; es war, als spielte man das Hütchenspiel auf dem Times Square. Schwierig, den Blick auf die Münze gerichtet zu halten, wenn man von einem Zirkus umgeben ist.
    Ich parkte auf dem hinteren Parkplatz, ging an den festen Ställen und der Tierarztpraxis vorbei, ließ die Andenkenstände hinter mir und gelangte in die Turnierplatzversion der Fifth Avenue: eine Reihe schicker Fressstände und mobiler Boutiquen in aufgemotzten Großlastern. Juweliere, Maßschneider, Antiquitätenhändler, Monogrammshops, Cappuccinostände. Ich betrat ein paar Boutiquen und staffierte mich mit dem nötigen Drum und Dran einer Dilettantin aus. Aussehen ist alles.
    Ich kaufte einen breitrandigen Strohhut mit einem grob gerippten schwarzen Seidenband und setzte ihn gleich auf. Männer nehmen Frauen mit Hut nie ernst. Dazu erstand ich zwei Seidenblusen und einen langen Wickelrock, der aus einem alten Sari genäht war. Ich achtete darauf, dass die Verkäuferin möglichst viel Seidenpapier verwendete, damit die Einkaufstüten randvoll aussahen. Dann wählte ich noch modische Armbänder und ein Paar unpraktische
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