Schattenprinz 02 - Der Prinz der Klingen
ihn anerkannte oder nicht. Dann hielt sie den Schlüssel zur Macht in den Händen. Gidus und dieser Bund von Krämerseelen wären gut beraten, ihr nicht in die Quere zu kommen.
Der kurze Trauerzug verließ die Burg, und Shahila stellte überrascht fest, dass sich vor dem Tor die Menschen drängten. Sie sah viele blasse Gesichter, sogar Tränen. Der Zug ging langsam hinunter zum Marktplatz. Der Brauch verlangte, dass der verstorbene Herzog ihn einmal umrundete, bevor er zur Gruft in der Burg zurückkehrte. Ein seltsamer Brauch, fand Shahila, der Herrscher kommt zu seinen Untertanen, um ihnen den Abschied zu ermöglichen? Sollte es nicht eigentlich umgekehrt sein? Es waren viele, sehr viele Menschen, schon in den Straßen vor dem Markt. Ganz Atgath, aber auch alle Dörfer aus der Umgebung schienen auf den Beinen zu sein, um einen letzten Blick auf den Herzog zu werfen. Shahila hätte fast laut losgelacht. Hado hatte sich zu Lebzeiten – spätestens, seit ihn die Bürde der Herrschaft und die Last des geheimen Wortes gedrückt hatten – so gut wie nie öffentlich gezeigt. Viele sahen ihn jetzt vermutlich zum ersten Mal. Aber obwohl sie ihn nicht kannten und obwohl er wahrlich nicht in der Lage gewesen war, je etwas für seine Untertanen zu tun, trauerten sie, als sei ein naher Anverwandter gestorben.
Und noch etwas fiel Shahila auf: Feindselige Blicke. Sie schienen ihr zu gelten. Bildete sie sich das nur ein? War es etwa eine Art schlechtes Gewissen, das sie die Mienen dieser Schafe falsch deuten ließ? Nein, warum sollte sie ein schlechtes Gewissen haben? Sie hatte Atgath von einem unfähigen Herrscher befreit und würde die Stadt bald goldenen Zeiten entgegenführen. Vermutlich hätte sogar Hado selbst ihre Tat gutgeheißen. Ihm schien doch ohnehin nicht mehr viel an seinem Leben gelegen zu haben. Gewehrt hatte er sich jedenfalls nicht, als sie ihm mit der Elfenbeinnadel den Hals durchbohrt hatte.
Leutnant Teis Aggi hatte sich die Einfassung des Marktbrunnens als Standplatz ausgesucht, wo er die Übersicht behalten konnte. Die ganze Stadt war auf dem Markt versammelt, um Abschied zu nehmen von Hado III ., dem beliebten, dem unglücklichen Herzog, der einem Schatten zum Opfer gefallen war. Die Dächer der Stadt glänzten noch vom Regen der vergangenen Nacht, der aber jetzt, als habe sogar das Wetter Achtung vor dem Herzog, aufgehört hatte. Die Menschen der Stadt waren erschüttert. Noch nie war ein Herzog von Atgath ermordet worden, noch nie hatte ein Schatten die Stadt heimgesucht. Und Nestur Quent sollte ihn gerufen haben? Es fiel den Leuten schwer, das zu glauben, obwohl sie nur zu gern annahmen, dass man Zauberern alles zutrauen musste. Der Schatten hatte auch den Schatz des Herzogs geraubt, er hatte noch viele Wachen getötet und war sogar den wilden Bergkriegern der Baronin entkommen, weil er, so erzählte man sich, sogar die Fähigkeit besaß, durch Wände zu gehen. So oder ähnlich waberten die Gerüchte durch die Stadt. Jeder wusste es ein wenig anders, ein wenig besser, machte die Geschichten noch ein bisschen größer, wenn er sie weitererzählte.
Teis Aggi glaubte von alledem nichts. Es waren in der Tat viele Männer gestorben: Die Wachen vor den herzoglichen Gemächern, zwei Soldaten in einem Gang unweit davon, zwei weitere vor einer der Waffenkammern in den Katakomben und dann noch ein Mann im Kerker – und sie alle sollte ein einziger Schatten auf dem Gewissen haben? Er wäre in sehr kurzer Zeit sehr weit herumgekommen, dieser Schatten, dachte Aggi bei sich. Immerhin wusste er, dass nicht der Schatten, sondern der geheimnisvolle Meister Ured den Schatz geraubt hatte. Heiram Grams hatte ihm anscheinend geholfen, aber wie diese beiden Männer das Loch in die Burgmauer hatten sprengen können, durch das sie entkommen waren, das begriff Aggi auch nicht. Niemand hatte diese Sprengung gehört. Vermutlich war es ein Zauber. Vermutlich war auch Meister Ured ein Schatten, denn er trug die magischen Linien nicht, das Zeichen, das alle Zauberer seit hundert Jahren trugen – mit Ausnahme der Schatten und der verfluchten Totenbeschwörer.
» Ah, Aggi, hier steckt Ihr. Habt Ihr wenigstens dafür gesorgt, dass die Straße frei bleibt, für den geliebten Hado?«, rief eine laute Stimme. Hauptmann Fals bahnte sich einen Weg durch die Menge. Er trug den rechten Arm in einer Schlinge, und Aggi sah, dass die Leute ihm ehrerbietig Platz machten.
» Wer ist das?«, fragte ein Mann, offenbar ein Bauer aus einem der
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