Schattenprinz 02 - Der Prinz der Klingen
nutzte ihn als Waschgelegenheit. Ein Mann saß an der Pforte und schnitzte gelangweilt an einem Ast herum. Dann sah er sie kommen und erhob sich ohne allzu große Eile.
» Bist du das, Garwor? Wen hast du denn da mitgebracht?«
» Ja, ich bin es, Dorgal, und ich bringe Reisende, die in die Ebene wollen.«
» Die Verrückten sterben wohl nicht aus«, lautete die Antwort. Und dann sagte Dorgal: » Wie, Frauen? Welche Teufel treiben Euch an, dort ins Zwielicht zu gehen? Bleibt lieber hier, bei uns. An unserem Feuer ist es behaglich und warm.«
» Vorsicht, Dorgal«, rief Garwor lachend und erzählte dann, wie Ela mit Prinz Askon verfahren war.
Jamade trat unterdessen in den Turm und entdeckte, dass man eine neue hölzerne Decke eingezogen hatte. Die Treppe war schon früher eingestürzt, und ihre Stufen dienten als Sitzgelegenheiten, während eine schmale Leiter nach oben führte. Sie hörte das Holz knarren. Es war also noch ein Mann dort oben auf dem Posten. Wenn sie Meister Iwar wirklich aufsuchen wollte, würde das ihr Vorhaben nicht gerade erleichtern. Sein Hof lag gar nicht weit entfernt, aber auch ohne Wachen wäre es schon schwer, hier unbemerkt davonzuschleichen, weil doch auch die Klette Sahif an ihr hing und sicher wieder die ganze Nacht so dicht wie möglich bei ihr liegen würde.
» Was ist das da drüben für ein Licht?«, hörte sie Ela draußen fragen.
» Das ist der Hof von Iwar«, antwortete Garwor. » Er wohnt dort mit seinem Weib, acht Kindern und vielen Schafen.«
» Ist es der, den sie den Richter nennen?«
» Du sagst es, Oramarer. Der König und die Ghula haben bislang auf ihn gehört, wenn er ihre Streitereien schlichtet, doch ich glaube, diese Zeiten sind bald vorbei. Der Streit dauert zu lange und wurde zu bitter, und bald wird König Hakor die Leichenfresser vertreiben.«
» Wie hat er das geschafft?«, fragte Ela.
» Wie?«
» Na, wie kann ein Bauer mit acht Kindern die Anführer zweier verfeindeter Sippen dazu bringen, Frieden zu halten? Ist er so voller Weisheit?«
Jamade schnaubte verächtlich. Dieses Mädchen konnte wirklich dumme Fragen stellen. Sie kannte die Antwort, und tatsächlich sagte Garwor jetzt: » Er ist ohne Zweifel klug, doch aus irgendeinem Grund scheinen sie auch beide ein wenig Angst vor ihm zu haben.«
» Hakor hat sicher keine Angst, und Askon erst recht nicht«, warf Dorgal ein.
» Sollte er aber. Bist du dem Richter nie begegnet? Er hat etwas an sich, was mich frösteln lässt«, meinte Garwor. » Du solltest übrigens auch ein Auge auf die Mauer haben, Dorgal. Der König hat diese Fremden zwar unter das Gastrecht gestellt, aber ich halte für möglich, dass Askon das vielleicht schon wieder vergessen hat.«
» Keine Sorge, wir werden wachsam sein«, versicherte der Westgarther, und damit, so wusste Jamade, würde es für sie noch schwieriger werden, sich in der kurzen Nacht davonzuschleichen. Sie begann zu zittern. Es war ihr Körper, der sie verraten wollte. Sie rief die Ahnen an, sammelte sich und schaffte es, noch einmal in Ainas Gestalt zu bleiben. Aber wie lange konnte das noch gut gehen?
Sie war froh, dass sowohl die Westgarther wie auch Sahif und Ela nach diesem ereignisreichen Tag müde waren. Sie ließ Sahifs Umarmungen über sich ergehen, obwohl sie inzwischen das Gefühl hatte, dass jede Berührung ihre falsche Haut zerreißen könnte. Ihr Körper schien sich immer stärker gegen die fremde Gestalt aufzulehnen.
» Was ist mit dir, Liebste?«, fragte Sahif, als sie sich gemeinsam unter ihre Decke legten.
» Nichts, der Tag war nur sehr lang, und dann dieser Matrose auf der Sperber …«
» Er kann dir nichts mehr tun, Liebste.«
» Ich weiß, und ich danke dir, dass du meine Ehre verteidigt hast«, flüsterte Jamade.
» Ja«, sagte er düster und knapp, und dann verfiel er in trübsinniges Schweigen, und Jamade, die all ihre Kraft zusammennehmen musste, um Aina zu bleiben, war es nur recht, wenn er nicht reden wollte, und vor allem, wenn er sie ausnahmsweise einmal nicht berühren wollte.
Eine Weile noch redeten die Westgarther halblaut miteinander, bevor sie endlich verstummten. Ela, die verkündet hatte, dass sie angesichts dieser Ebene unter dem Turm kein Auge zutun würde, war als Erste eingeschlafen, und dann verriet Sahifs ruhiger und gleichmäßiger Atem, dass auch er von Müdigkeit überwältigt worden war. Jamade wartete, schloss die Augen, um Kraft zu sammeln – und schreckte hoch. War sie etwa eingenickt? Verwirrt blickte
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