Schattenprinz 02 - Der Prinz der Klingen
wie sein Vorgänger. Ela versuchte, ihn nicht zu beachten, aber dann blickte sie ihm doch ins Gesicht, und ihr entfuhr ein kleiner Schrei. » Leiw!«
Sie wollte es nicht glauben, wollte lieber glauben, sich getäuscht zu haben, aber er war es. Es war Leiw, der Westgarther, der sie auf der Brücke mit seinem Leben verteidigt hatte. Er stand dort, ausgemergelt, grau, die Haut seltsam ledern, die Augen leblos und starr, aber es war Leiw. Sie rief ihn. Er reagierte nicht. Sie rief ihn noch einmal, aber er schien sie gar nicht zu hören. Es war zu viel für Ela. Sie kauerte sich in der Mitte ihres Käfigs zusammen und weinte um Leiw, um Sahif und um sich selbst, die sie doch offensichtlich einem baldigen Tode geweiht war.
Für Jamades Geschmack ließ sich der Marghul einfach zu viel Zeit. Die Nacht schritt voran, und immer noch ließ er zu, dass sich Sahif gegen sein unvermeidliches Ende wehrte. Sie verfluchte sich selbst, weil sie nicht bedacht hatte, dass Udaru die Schmerzen seiner Opfer auskostete. Er tat es nicht aus Bosheit. Jedenfalls behauptete er, dass er das nur tat, weil er so etwas wie Schmerz nicht mehr empfinden könne und ihn deshalb aufmerksam bei anderen studieren müsse. Jamade konnte nicht entscheiden, ob das stimmte oder nicht, aber sie würde es niemals wagen, seine Worte offen in Zweifel zu ziehen. Der Marghul konnte freundlich sein, leutselig sogar, aber er duldete keine Widerworte und war in seiner Grausamkeit, die gepaart war mit kalter Neugier, unberechenbar.
Sie hatte sich an das andere Ende der Kammer zurückgezogen und hörte zu, wie Udaru sich mit seinem Opfer unterhielt. Den größten Teil der Unterhaltung bestritt der Zauberer, Sahif gab nur einsilbige Antworten. Aber immerhin schien sein Widerstand schon so weit gebrochen, dass er alle Fragen offen beantwortete. Jamade rutschte näher heran. Es gab Dinge, die Sahif selbst Aina nicht erzählt hatte, und es schien, dass der Nekromant gerade darauf zu sprechen kam.
» Dieses Wort, das du gestohlen hast, ist dir bekannt, wozu es dient?«
» Schlüssel«, murmelte Sahif.
» Ja, das weiß ich schon, mein Junge. Aber was für eine Pforte soll er öffnen?«
» Kammer.«
» So einsilbig? Trink das, junger Freund, oder willst du, dass ich mit mir selbst rede?«
Es standen mehrere Flaschen auf dem Tisch, und Jamade wusste inzwischen, in welcher sich das Elixier befand, das Sahif zur Schwelle bringen würde. Aber jetzt musste sie sehen, dass der Zauberer seinem Opfer ein anderes Getränk einflößte. Sahif trank und stöhnte, dann lallte er etwas völlig Unverständliches.
Marghul Udaru tätschelte ihm die Wange. » Gleich geht es besser«, sagte er, und dann trat er an den Tisch und machte sich Notizen. Jamade verfluchte seine Neugier. Konnte er nicht einfach tun, worum sie ihn gebeten hatte? Konnte er nicht einfach Sahif ins Jenseits befördern und dafür sorgen, dass er auf diesem Weg endlich das Wort preisgab?
» Sag, wenn du all deine Schattenkunst doch vergessen hast, wie ist es dir da gelungen, diesen Schlüssel zu bekommen, der doch sonst nur vererbt wurde, wenn ich es richtig verstanden habe?«, fragte Udaru, während er nebenher etwas auf Pergament schrieb.
» Mahre«, sagte Sahif.
Der Zauberer hielt in seinen Notizen inne. » Willst du sagen, dass du Mahren begegnet bist?«
Sahif nickte.
» Und sie haben dir geholfen? Ja? Die Berggeister? Aber warum? Was haben die mit diesem Wort zu tun?«
» Ihr Schlüssel. Ihre Kammer«, flüsterte Sahif schwach.
» Augenblick. Das geschah in Atgath, sagtest du? Atgath, Atgath – Augenblick.«
Der Nekromant wandte sich ab und lief schnell hinüber zu einem der vielen Regale in der weitläufigen Kammer, die schon fast eine Halle war. Er kletterte auf eine Leiter, zog Pergamentrollen heraus, sah kurz hinein, ließ sie fallen und schien schließlich fündig geworden zu sein. Er kam zurück vom Tisch, breitete die Rolle dort aus und überflog sie. » MahrAtgath! Die alte Legende. Nein, das ist nicht möglich. Nein. Oder doch?« Er wandte sich wieder Sahif zu, der sich in Agonie in seinen eisernen Fesseln wand. » Du hast die Mahre getroffen, sagst du. Es gibt sie also noch. Und sie bewachen ein Geheimnis? Einen Zugang. Ist das möglich? Ist es möglich, dass sie einen Zugang zu … Alter Magie bewachen?«
Sahif nickte mit schmerzverzerrtem Gesicht, und seine Augen flirrten, als würden sie gleich brechen. Jamade hielt die Anspannung nicht mehr aus. » Meister Udaru, von welcher Magie
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