Schattenprinz 02 - Der Prinz der Klingen
Mann.
Er wusste nicht, was dieser Mann von ihm wollte, aber dann war ihm tatsächlich, als würde sich noch etwas in dem Raum befinden, ein heller Nebelfleck oder etwas Ähnliches. » Ich sehe es«, murmelte er. Er schloss die Augen und riss sich zusammen. Wo war sein altes Ich, das er vergessen hatte und das ihm immer zu Hilfe gekommen war, wenn er in Not geriet? Warum ließ es ihn jetzt im Stich? Er stöhnte und richtete sich auf. Er konnte jetzt wieder klarer sehen.
» Durst?«, fragte der Mann.
Er schüttelte den Kopf.
» Sieh an, er ist stärker, als ich dachte.«
» Was ist geschehen, Meister Udaru?«
» Er kämpft dagegen an.« Der Mann trat zu ihm und hielt ihm ein Glas an die Lippen. Sahif wollte sich wehren, aber er konnte den Kopf kaum bewegen. Der Mann packte ihn am Kiefer und öffnete ihm den Mund mit Gewalt. Eine kühle Flüssigkeit rann Sahifs Kehle hinab.
» Ich fürchte, es wird noch ein wenig dauern, aber wir haben ja Zeit.«
» Eigentlich nicht, ehrwürdiger Marghul«, sagte die Frau vorsichtig.
Plötzlich wurde es kalt im Raum. » Es ist besser, du lässt uns für eine Weile alleine, Jamade von den Schatten«, sagte der Marghul mit schneidender Stimme.
» Aber …«, begann die Frau und verstummte dann.
Sahif konnte erkennen, wie sie sich entfernte.
» Die Ungeduld der Jugend«, meinte der Marghul.
» Wer war das?«, fragte Sahif.
» Das ist unwichtig. Wichtig ist, ob du die anderen gesehen hast. War da ein Nebel?«
Sahif nickte. Er fand es sinnlos, sich den Fragen zu verweigern. Er konzentrierte sich stattdessen auf den Versuch, den brennenden Schmerz in seinem Leib zu ignorieren. Aber das gelang nicht.
» Es sind die Toten, junger Freund. Die Männer, die auf der Schwelle sitzen und nicht hinüberkönnen.«
» Ich verstehe nicht.«
» Weißt du, damals, als wir hier um diese Stadt rangen, da kämpften auf beiden Seiten starke Zauberer. Vielleicht hast du wenigstens davon gehört, wie elegant wir den Tod in die Reihen unserer Feinde brachten. Mein Freund Meister Kutur opferte dabei sein eigenes Leben, denn er war es, der hinausritt und die tödliche Krankheit zu den Belagerern brachte. Leider war sie für die Bürger von Bariri ebenso tödlich. Sie war erst nur auf der Ebene, aber irgendjemand muss sich aus der Stadt gestohlen haben, vielleicht, weil er von den Vorräten der Toten stehlen wollte, vielleicht, weil er die Toten selbst verzehren wollte. Es herrschte damals großer Hunger, weiß du? Also starben auch die meisten der Menschen hier in der Stadt an der Krankheit, wenn sie sich nicht gegenseitig vorher umbrachten.«
Der Marghul fing an, auf und ab zu gehen, und Sahif folgte ihm mit den Augen, obwohl er nicht viel mehr sah als einen Schemen.
» Jedenfalls hatten sie dort drüben ebenfalls mächtige Zauber. Und die sorgten dafür, dass die Krankheit und der Wahnsinn die Ebene nicht verlassen konnten. Aber leider können die Toten das nun auch nicht mehr. Denn die Mauer über Aban, die du gesehen hast, sie reicht hinein in das Reich der Toten. Und die Seelen, die Geister, oder wie immer man sie nennen will, sind gefangen. Verstehst du? Hier sind zehntausende Männer, Frauen und Kinder gestorben, doch sie blieben alle auf der Schwelle sitzen, die das Reich der Lebenden von dem der Toten trennt und die du noch heute Nacht überqueren wirst. Nun ja, sehr weit wirst du nicht kommen, denn auch deine Seele wird auf dieser Ebene gefangen sein. Und wenn du die anderen Seelen sehen kannst, verrät mir das, dass du der Schwelle schon sehr nahe bist.«
» Der alte Lenn«, sagte Sahif, denn er musste plötzlich an den Verrückten auf der Mauer denken.
» Ja, er ist der Letzte seines Ordens. Ich habe mich früher manchmal mit ihm unterhalten, nachts, in seinen Träumen. Seine eigenartigen Rutenbündel, hast du sie gesehen? Ich habe ihm gesagt, wie er sie anfertigen muss, um die Mauer zu schützen.«
» Aber warum?«, fragte Sahif schwach und konnte den bohrenden Schmerz in seinen Eingeweiden kaum noch ertragen.
» Der alte Lenn hat Angst, dass die Toten die Lebenden überrennen könnten, wenn die Mauer fällt. Und, ganz ehrlich, ich weiß nicht, ob er nicht vielleicht sogar Recht hat. Es kann natürlich auch sein, dass sie einfach nur ins Reich der Toten wandern, aber wer kann das wissen? Ich habe sie gefragt, diese unglücklichen Seelen. Sie wissen selbst nicht, was geschehen wird. So etwas hat es noch nie gegeben. Vielleicht gibt es auch einen richtigen Riss in der Welt, und
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