Schattenprinz
Armeslänge. Beinahe war sie dankbar dafür. Sie wollte nicht sehen, was dort draußen lauerte. Es war ohne Ausnahme böse. Etwas Böses, das sie verachtete.
Equatoria würde das nicht dulden. Ein Vergeltungsschlag würde folgen, sobald sich die Armeen zur Rache gesammelt hatten. Das wusste Adele ohne jeden Zweifel. Und ohne Zweifel würden die Amerikaner kommen und die bestrafen, die es gewagt hatten, die zukünftige Frau ihres berühmtesten Vampirtöters zu entführen. Sicher war Senator Clark nicht der Typ Mann, der einen solchen Affront hinnahm.
Außerdem war da noch Greyfriar mit seiner unheimlichen Fähigkeit, aus den Schatten aufzutauchen und sie aus der sich ausbreitenden Dunkelheit zu retten. Sie vermisste seine unerschütterliche Gegenwart, die ihr Hoffnung schenkte, wo es keine gab. Seine Abwesenheit ließ die Zeit vor ihr wie einen riesigen Abgrund aufklaffen.
Dennoch, ganz unabhängig davon, welche Aktionen in Gang gesetzt wurden oder bereits im Gange waren, bedeutete das wenig für Adeles Leben. Ihr Schicksal war besiegelt. Cesare würde sie niemals freilassen, und er würde sie töten, sobald der erste Mensch seinen Fuß auf englischen Boden setzte. Das war Gewissheit. Schließlich würde sie mit einem Gefangenen seiner Art dasselbe tun.
Adele hatte nicht die Absicht, wie eine arme, kleine Prinzessin herumzusitzen und darauf zu warten, dass dieser Augenblick kam. Cesare und seine Sippe würden einen schrecklichen Preis bezahlen. Sie würde den Vampirstaat mitten ins Herz treffen. Zweifellos würde Cesare häufig in ihre Reichweite kommen. Vielleicht, wenn sie es richtig anstellte, konnte sie nahe genug an den König, Dmitri, herankommen. Was für ein traumhafter Schlag das wäre! Adele schwor sich, dass sie dem verdorbenen Clan zu diesem wichtigsten Zeitpunkt in der Geschichte den Kopf abschlagen würde. Das würde den dreckigen Hofstaat ins Chaos stürzen und ihn verwundbar machen für die Kriegsmaschinerie, die bald von Süden über die Vampire hereinbrechen würde.
Adele wurde es leicht ums Herz. Mit einem Mal hatte sie keine Angst mehr vor dem Weg, der sich bedrohlich vor ihr abzeichnete. Stattdessen erfüllten sie Aufregung und Erwartung wie ein Rausch, und sie hieß die schwache Wärme willkommen, die sie mit sich brachten und die die Kälte des grauenhaften London verdrängte.
Ihre Hand wanderte zu ihrer Schärpe, in der leider der Dolch ihrer Mutter fehlte.
Sie brauchte eine Waffe.
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U nmittelbar nach Anbruch der Morgendäm merung sank die USS Ranger an der Spitze einer kleinen Flotte kaiserlicher Kreuzer auf Marseille herab. Sobald die Ranger vertäut und niedergeholt war, gingen Senator Clark und sein stellvertretender Kommandeur, Major Stoddard, von Bord, um von einer Schar von Marseilles Stadtvätern in Empfang genommen zu werden. Hastig schüttelte Clark Hände und konzentrierte sich darauf, sich die Namen aller in sein ausgezeichnetes Ge dächtnis einzuprägen. Dann richtete er einen harten Blick aus schmalen Augen auf eine stocksteife Gestalt in den zerrissenen Überresten einer equatorianischen Uniform.
Der Mann stellte sich mit einem leichten Akzent knapp vor. »Colonel Anhalt, Senator.«
»Anhalt?« Clark ragte über dem kleinen, aber stämmigen Offizier auf, der einen Verband trug und offensichtlich Schmerzen litt. »Anhalt? Sie kommandierten die Hausgarde meiner Verlobten.« Es war eine Anschuldigung.
»Das tat ich und tue es noch, Sir.«
»Wie kommt es dann, dass Sie immer noch am Leben sind?«
Anhalt senkte den Blick nicht, doch die Frage verletzte ihn eindeutig. »Ich wünschte, ich wäre es nicht.«
»Zweifellos.« Clark kehrte Anhalt den Rücken zu und ging weiter. Die Stadtväter schlossen sich ihm selbstverständlich an. Der Colonel hinkte hinterdrein.
Major Stoddard salutierte vor dem verwundeten Anhalt. »Colonel. Mein Name ist Stoddard. Ich bin der Adjutant des Senators.« Der junge amerikanische Offizier war hochgewachsen, gertenschlank und dunkel. Er war in der Nähe von New Orleans im Vampirgrenzgebiet aufgewachsen.
Anhalt nickte knapp, da ihn Clarks Tadel immer noch schmerzte, erwiderte den Salut jedoch und streckte dann in stiller Dankbarkeit die Hand aus. »Zu Ihren Diensten, Major.«
Stoddard schüttelte die angebotene Hand, nickte herzlich und richtete seine Aufmerksamkeit dann wieder auf seinen kommandierenden Offizier, der ihnen bereits ein gutes Stück voraus war.
»Wie geht es dem Jungen?«, fragte Clark niemanden im Besonderen.
»Es geht
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