Schattenprinz
aufstellen, um deine Schwester zu retten.«
»Colonel Anhalt hat mich gerettet«, versetzte Simon verteidigend.
»Du hältst viel von ihm.«
»Jawohl.« Mit für sein Alter ungewöhnlichem Stolz und Selbstvertrauen hob Simon den Kopf. Der Junge schlug den Saum seiner Cordjacke zurück und enthüllte den Dolchgriff an seinem Gürtel. »Er hat mir das hier gegeben.«
Clark lächelte gönnerhaft. »Wie schön. Er hätte dich in der Schlacht gebrauchen können. Vielleicht hätte er dann ein paar Vampire mehr getötet.«
»Sie waren doch gar nicht dort!«, versetzte Simon heftig.
»Du solltest dir vielleicht wünschen, dass ich dort gewesen wäre!«, blaffte der Amerikaner zurück. »Ich habe mehr Vampire getötet, als du zählen kannst, mein Junge! Ich kann Erfolg und Versagen unterscheiden. Und das war ein Versagen. Jetzt pack deine Sachen! Du fliegst auf der Ranger nach Alexandria zurück, bevor die Sonne untergeht. Und nachdem ich dich den wartenden Armen deines Vaters übergeben habe, werde ich meine zukünftige Ehefrau retten und diesen Krieg wieder auf seinen planmäßigen Kurs bringen.«
Clark stieß die Schlafzimmertür auf und sagte zu Anhalt, als wäre der Colonel ein gemeiner Lakai: »Bereiten Sie ihn vor. Ich werde in vier Stunden zurück sein und Ihren Prinzen nach Alexandria bringen. Ich will, dass Ihr Volk sieht, wie viel Liebe ich für die kaiserliche Familie empfinde, und das so schnell wie möglich. Durch Ihre Schande haben Sie den Menschen Ihrer Hauptstadt Kummer bereitet. Ihre Zuversicht muss wiederhergestellt werden.« Mit diesen Worten rauschte der Amerikaner davon, seine Gefolgschaft in seinem Fahrwasser, und ließ Anhalt mit verzerrter Miene im Korridor zurück.
Major Stoddard blieb kurz vor Anhalt stehen und wollte etwas sagen, um die Beschämung des Mannes zu mildern. Doch stattdessen entschied er, nur einen bekümmerten Blick mit dem Gurkha-Offizier zu wechseln, bevor er Clark folgte.
Ein schlanker Mann schritt den über die ölig schwarzen Fluten des Nil ausgelegten Landungssteg hinunter. Der Rauch des Dampfschiffs wirbelte um ihn herum. Es war eine warme Nacht in Gizeh, und die Hafenarbeiter hatten selbst zu so später Stunde noch viel zu tun. Von Bord des Dampfschiffes gehende Passagiere blieben stehen, um die Armee von Gepäckträgern dafür zu schelten, dass sie sich zu langsam um ihr Gepäck kümmerten. Reisende wurden von Freunden oder lieben Familienmitgliedern mit Umarmungen und Handschlägen in Empfang genommen. Und ein paar wenige wanderten einsam zu einem der vielen Pubs oder Kaffeehäuser in der Nähe. Horden von Hafenarbeitern bewegten sich unter hellen chemischen Laternen und verluden Container mit Getreide und Obst für die kurze Überfahrt zum Ufer auf Boote oder auf Eisenbahnwagen, die nach Port Said fuhren. Stahl und Maschinenteile, die in den schmauchenden Fabriken von Alexandria geschmiedet worden waren, warteten darauf, über den Fluss oder auf Schienen ins Landesinnere zu den aufstrebenden Städten Luxor, Assuan und Khartoum verschifft zu werden.
Der Mann, der das Dampfschiff verließ, wartete weder auf Gepäck, noch begrüßte er Freunde oder ging etwas trinken. Sein schlichter schwarzer Anzug, gekrönt von einem bescheidenen Homburg, zog keine Aufmerksamkeit auf sich. Er war Japaner, doch es stellte in keiner kaiserlichen Stadt etwas völlig Ungewöhnliches dar, Menschen aus dem Fernen Osten anzutreffen. Sein Spazierstock klopfte auf die hölzernen Planken, als er sich durch die Menge schlängelte.
Außerhalb der Hafentore hielt er Ausschau nach einer von Pferden gezogenen Mietdroschke, hatte jedoch kein Glück. Also gab er sich mit einer Dampfdroschke zufrieden und machte es sich in einem Ledersitz bequem, der nach Schweiß und Orangen roch. Der Mann legte seinen Hut ab und fuhr sich mit einer behandschuhten Hand durch das kurz geschnittene Haar. Er betrachtete die Stadt, die an ihm vorüberzog, doch die schaukelnde Bewegung der Kutsche, die Sauna aus Dampf und Nebel sowie das Klappern der Stahlräder auf der Schotterstraße waren alles andere als entspannend. Technologie um ihrer selbst willen. Sie brachte keine Verbesserung gegenüber dem Pferd, und in den Augen des Mannes war sie tatsächlich ein deutlicher Rückschritt.
Nach nur wenigen Minuten klopfte er mit dem Spazierstock an die Decke der Fahrgastkabine und bezahlte den rußgesichtigen Droschkenkutscher. Ein trockener Wüstenwind begleitete ihn das Trottoir entlang, als ein paar Abendspaziergänger
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