Schattenprinz
sehen, dass Gareth immer noch am Fenster lehnte und sie anstarrte wie jemand, der einem Theaterstück zusah. Und zwar einem nicht gerade gut gespielten.
Von außerhalb des Fensters drang ein leises Geräusch herein. Als Gareth sich umdrehen wollte, sprang Adele vor.
»Hör mich an!«, rief die Prinzessin verzweifelt. »Ich halte es nicht mehr aus! Ich werde dir alles über die Spione in Großbritannien erzählen!«
Gareth drückte sich flach an die Wand und hielt beruhigend die Hände hoch. »Ich will nichts über Spione in Großbritannien wissen.«
»Was?« Adele gab ihr ohnmächtiges Possenspiel auf und starrte ihn an. »Was stimmt nicht mit dir?«
»War das Cesares Interesse? Spione? Nun, mein einziges Interesse besteht darin, dich sicher nach Hause zu bringen. Ich habe nicht den Wunsch, mich in Cesares Angelegenheiten zu mischen.«
»Dann hast du also auch Angst vor Cesare?«, fragte Adele wütend. »Hat denn jeder Angst vor dieser kleinen Kreatur?«
»Ja«, erwiderte Gareth. »Es wäre dumm, ihn nicht zu fürchten. Er ist zu allem fähig. Und seine Rudel sind zahlreich im Vergleich zu meinem. Das nur eine einzige Person zählt.« Er legte sich die Hand auf die Brust und lächelte.
»Bist du nicht der ältere Bruder?«
»Das stimmt. Aber Politik ist kompliziert, wie du wohl weißt.«
»Wenn du mich freilässt, wird dir das das Wohlwollen von Equatoria einbringen.«
»Das ist schön, aber zu welchem Zweck? Es gibt keine Politik zwischen Vampiren und Menschen. Für uns seid ihr Nahrung. Für euch sind wir Parasiten. Es gibt keine gemeinsame Basis, die wir miteinander finden können. Ihr wollt euer Territorium zurück. Wir werden es nicht wieder hergeben. Zwischen uns heißt es Leben oder Tod.«
»So muss es nicht sein. Du wirst ein … König sein und ich Kaiserin. Zusammen könnten wir deinen Bruder stürzen …«
Gareths Miene verdüsterte sich. »Bitte hör auf! Wenn du das nur wirklich glauben würdest! Aber keine Angst. Ich habe vor, dich freizulassen, Prinzessin, während Cesare das nicht tut. Es ist nicht nötig, mich zu überreden. Und es wird dir nicht helfen, mich bei einer verräterischen Aussage zu erwischen und mich dann an Cesare zu verraten, um dir deine Freiheit zu erkaufen. Es gibt keine Geheimnisse zwischen mir und meinem Bruder. Wenn unser Vater, der König, stirbt, dann werde ich Cesare töten. Das wissen wir beide. Es muss nur noch eines Tages in die Tat umgesetzt werden.«
Adele fühlte, wie eine Welle der Ermüdung und des Elends ihr verzweifeltes Intrigenspiel mit sich fortriss. Es schien so zwecklos, mit einem Vampir zu diskutieren. Deshalb hatte sie sich überhaupt erst geweigert, mit Cesare zu reden. Wenn sie Selkirk nicht hätte schützen wollen, hätte sie sich niemals in eine Unterhaltung mit diesem hier verwickeln lassen. Sie dachte daran, sich ihr Steinmesser zu schnappen. Wenigstens würde dann eine dieser Kreaturen sterben. Aber das war töricht. Es würde jeden Vampir in der Nähe herbeirufen und Selkirk dem Untergang weihen.
»Alles, was du tun musst, ist warten«, sagte Gareth leise. »Tu nichts Dummes, wie etwa zu versuchen, zu fliehen. Und bete, dass deine Landsleute nicht versuchen, dich mit Gewalt zu befreien.« Er streckte den Arm aus dem Fenster, worauf Adele zusammenzuckte. Doch er deutete nur auf die geierähnlichen Wächter, die im Hof verteilt kauerten. »Sie warten nur auf ein Zeichen, dich zu töten. Sie werden keine Fragen stellen. Sie werden nicht über den Grund nachdenken. Sie werden einfach nur töten.«
»Sie können es versuchen.« Adele lächelte sarkastisch und fragte sich dabei, warum diese Mörder, wenn sie wirklich so furchterregend waren, nicht einmal einen Mann sehen konnten, wenn er direkt vor ihrer Nase hing.
»Wohl wahr. Ich bin sicher, du könntest ein paar von ihnen mit dir nehmen. Du bist ziemlich außergewöhnlich.«
Adele war verblüfft über Gareths Lob, so schwach es auch sein mochte. Er musste gehört haben, dass sie in Frankreich Vampire getötet hatte. Es machte die junge Prinzessin tatsächlich stolz, dass Gareth, selbst eine der Kreaturen, ihre Fähigkeiten anerkannte. Cesare dagegen hatte nichts anderes getan, als sie niederzumachen und zu beschimpfen und dadurch ihre Rolle als Teil einer u nterlegenen Spezies zu bekräftigen.
Moment mal, dachte Adele abrupt. Dies war nur eine Finte. Gareth spielte nur mit ihr. Versuchte, mit Gesten des Wohlwollens ihr Vertrauen zu gewinnen. Sie würde sich aber nicht so leicht
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