Schattenprinz
einwickeln lassen.
»Würdest du jetzt gehen?«, sagte sie mit so viel Nachdruck, wie sie aufbringen konnte.
Gareth vollführte eine halbherzige Verbeugung. »Ich bitte dich, mir zu glauben. Ich bin deine einzige Chance, lebend wieder nach Hause zu kommen.« Der hochgewachsene Prinz sah ihr eindringlich in die Augen.
Sie senkte den Blick, als Gareth das Zimmer verließ und seine leisen Schritte verklangen.
Dann stieß Adele heftig den Atem aus und hastete zum Fenster. Selkirk war fort. Hektisch suchte sie das Gelände und die baufälligen Mauern ab. Kurz glaubte sie, eine Gestalt hinter einem Haufen Schutt verschwinden zu sehen, konnte sich aber nicht sicher sein. Adele hielt sich an dem feuchten Stein fest und fragte sich, ob er überhaupt da gewesen war. Vielleicht hatte sie ihn sich in ihrer verzweifelten Sehnsucht nach Freiheit nur eingebildet.
Mit einem verrückten Gefühl der Ironie dachte die Prinzessin, wie eigenartig es war, dass so viele Leute darauf erpicht zu sein schienen, ihre Freilassung aus der Gefangenschaft zu gewährleisten. Cesare hatte es behauptet. Und nun Gareth ebenso. Ihr Verlobter schlachtete eifrig jeden Vampir in Europa ab, um ihre Freilassung zu bewirken. Dennoch machten es die Taten jedes Einzelnen den anderen unmöglich zu handeln. So war Diplomatie. Es wäre urkomisch, wäre da nicht die Tatsache, dass sie über diesen Witz nachdachte, während sie in einem kalten Vampirgefängnis stand, schmutzige Kleider trug und Pferdefleisch aß.
»Meine einzige Chance, lebend hier herauszukommen«, wiederholte Adele verächtlich murmelnd Gareths Worte, als sie sich vom Fenster abwandte. Vielleicht konnte Mamorus unheimlicher Einfluss durch Selkirk sie aus ihrem Gefängnis herausholen. Und irgendwo, so glaubte sie, schlich Greyfriar durch die Schatten, um sie zu befreien. Ein kurzer Hoffnungsschimmer stieg in ihr auf. »Wir werden sehen.«
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» E ure Kaiserliche Majestät, darf ich Ihnen den Botschafter von Dmitri, König von Großbritannien vorstellen?«, erschallten Lord Kelvins unglaubliche Worte in dem großen Gewölbe des Suez-Saales des VictoriaPalastes. Seine Haltung war ausdruckslos und förmlich, um die unbegreifliche Natur seiner Ankündigung ein wenig abzuschwächen. Die Mitglieder des Geheimen Rats sahen trotz ihrer prächtigen Kleidung so feindselig aus wie eine aufgebrachte Lynchmeute. Lord Aden stand stumm an der Seite und beobachtete dieses Stück Geschichte mit einem Ausdruck der Neugier.
Am gegenüberliegenden Ende des Saales saß Kaiser Constantine II., das Reich in Person. Seine Staatsrobe war vom britischen Vorbild übernommen worden, ergänzt durch einen Schulterüberwurf aus Tigerfell als Verneigung vor Indien. Seine Krone war aus ägyptischem Gold geschmiedet und mit schweren Saphiren und Rubinen aus Indien verziert. Das Zepter in seiner Hand krönte ein faustgroßer Diamant vom Kap. In den massiven Thron waren Symbole des Reiches geschnitzt, darunter indische Elefanten und afrikanische Löwen. Zwei goldene ägyptische Sphinxe kauerten grimmig zu seinen Füßen.
Senator Clark stand wie eine wütende, bärtige Statue am Fuß des Thrones, die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Lord Kelvin hatte sich vehement dagegen ausgesprochen, dass sich der Amerikaner während eines offiziellen Staatsempfangs in der Nähe der Estrade aufhielt. So etwas gehörte sich einfach nicht. Doch seit Clarks Rückkehr aus Marseille mit dem jungen Prinzen auf den breiten Schultern und vor allem seit seinem blutigen Triumph in Bordeaux war der Kaiser gezwungen, ihm so viel Achtung zu zollen, als wäre er sein eigener Sohn.
Kaiser Constantine bedeutete dem soeben eingetrof fenen »Botschafter«, den langen Gang zwischen den vielen Reihen leerer Sitze entlangzugehen. Diesem »verdammenswerten« Empfang wohnten nur seine engsten Berater bei.
Gaslampen warfen flackernde, dramatische Schatten auf die mit kühnen Wandgemälden überzogenen Mauern, gemalte Gestalten des Krieges, riesig und lebhaft, mit vor Konzentration starren Gesichtern. Pferde bäumten sich auf. Kanonen spuckten Feuer und Rauch, und Wälder aus Lanzen blitzten. All die gemalten Soldaten und Waffen schienen der lebenden Gestalt des Kaisers zu entspringen, der selbstsicher auf seinem Thron saß. Die Decke zeigte eine atemberaubende Schar von Luftschiffen der kaiserlichen Marine, die triumphierend über die Köpfe aller, die in seine Gegenwart kamen, hinwegsegelten.
Der furchtsame Botschafter wirkte von dem riesigen Saal
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