Schattenprinz
Knurren.
Die Kriegsführerin parierte mit den Krallen, dabei erlitt sie schreckliche Schnittwunden an den Händen, wehrte aber jeden von Greyfriars tödlichen Hieben ab. Das Verlangen, Blut zu vergießen, durchströmte sie. Das war der Augenblick, auf den sie gewartet hatte, der Augenblick, da sie Greyfriar töten und sich an ihm laben konnte. Aber sie wusste, dass sie das nicht durfte. Die Prinzessin war ihre Schutzbefohlene. Nur die Prinzessin zählte.
Und die Prinzessin war geflohen.
Trotz Flays Verlangen, diesen Mann zu töten, war er nur ein Hindernis, das sie davon abhielt, Cesares entschwindender Beute hinterherzujagen. Er schien das zu wissen und es zu genießen, sie aufhalten zu können. Flay versuchte, als flinker Schatten an ihm vorbeizuhuschen, doch er warf sich ihr mit einem Geschick und einer Schnelligkeit in den Weg, die für einen Menschen außergewöhnlich waren. Jede Sekunde, die verstrich, führte die Prinzessin tiefer in das Chaos von London. Die verzweifelte Vampirin erhob sich in die Luft, doch nur, um zu spüren, wie Greyfriar ihren Knöchel packte. Sie trat ihm ins Gesicht, aber sein stählerner Griff ließ nicht nach.
Genug, dachte Flay. Ich habe keine Zeit, mich mit diesem elenden Glückspilz zu duellieren!
Die Kriegsführerin warf den Kopf in den Nacken und kreischte. Greyfriar zuckte bei dem Laut zusammen. Innerhalb von Sekunden füllte sich die Gasse mit Vampiren. Manche von ihnen reagierten auf den alten Kriegsschrei. Andere waren einfach nur betrunken und hofften auf irgendein blutiges Straßenspektakel. Der Anblick eines Menschen und eines Vampirs, die gegeneinander kämpften, weckte einen Instinkt, der sie dazu brachte, sich auf den Schwertkämpfer zu stürzen.
Eine Flut von Leibern taumelte auf Greyfriar zu. Ihre Krallen und Zähne gruben sich in ihn, während er angestrengt Flays Knöchel festhielt. Sie packte eine eiserne Stange, die hoch über ihr aus der Mauer ragte, und zog mit aller Kraft. Ihr Fuß entglitt seinen Fingern, und durch ein Gewirr aus Armen und Beinen sah er, wie Flay sich in den Himmel erhob.
Mit einer wilden Kraftanstrengung sprang Greyfriar auf die Füße und schüttelte die Zecher ab wie ein umzingelter Bär die Hunde. Er befreite sich aus der klammernden Meute und hangelte sich im Zickzack springend an den engen Wänden der Gasse empor. Auf einem Vorsprung hielt er inne, zog seine Pistole und feuerte alle Patronen nacheinander ab. Die Salve traf Flay in der Luft und wirbelte sie wie ein Windrad um die eigene Achse. Doch keiner der Schüsse war tödlich, und sie richtete sich schnell wieder auf. Die Vampirin verschwand zwischen den Dächern und war außer Sicht.
Hektisch zerrte Greyfriar an seinem Pistolengürtel und den Schwertscheiden, um Ballast abzuwerfen, da ihn das Gewicht seiner Waffen und des Gepäcks davon abhielt, Flay zu verfolgen. Er musste um jeden Preis verhindern, dass sie Adele fand, selbst wenn das bedeutete, seine kostbare Tarnung aufzugeben. Doch zahllose scharfe Hände zogen ihn nach unten. Hilflos schlug er auf das ihn umzingelnde Gesindel ein in der einzigen Hoffnung, dass Adele genug Zeit gehabt hatte, zu entkommen.
Adele fühlte sich wie ein Feigling, dennoch rannte sie weiter die Straße entlang, in der trunkene Vampire ihr nachsahen, als sie vorbeihetzte. Manche von ihnen zeigten auf sie und lachten über das Schauspiel, dass jemandem die Mahlzeit davonlief. Schnell bog sie von der überfüllten Straße ab und schlüpfte in eine schluchtähnliche Gasse. Sie war leer, aber in dem schmalen Schlitz aus fahlem Licht über ihr glitten Gestalten vorüber.
Wenn ihr Verlobter kam, um sie zu holen, wohin würde er sich wenden? Selkirk wusste, dass sie im Tower war. Sollte sie dorthin gehen und auf Rettung warten?
Adele fühlte die zerknitterte Karte in ihrer Hand. Canterbury. Würde Greyfriar sie dort treffen? War er Teil des Rettungsversuchs? Wartete ihr Verlobter dort auf sie? Sie hatte keine Ahnung, ob das Schiff, das man gesehen hatte, wirklich seines war. Nur eine einzige Sache war klar: London wimmelte von Vampiren. Die einzig reelle Chance, die sie hatte, war das Kreuz auf der Karte. Greyfriar. Er war die Antwort.
Leise bewegte sich Adele durch die schmale Gasse. Der Feind konnte aus jeder der Türen kommen, die ihren Weg säumten. Eine davon stand offen, und sie schlich sich von der Seite an sie heran, um zu sehen oder zu hören, ob sich im Innern etwas regte. Sie hörte nichts, deshalb schlüpfte sie daran vorbei, doch ein
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