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Schattenreiter

Schattenreiter

Titel: Schattenreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Nikolai
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ein dünner Schleier, strich um sie und floss schließlich in sie ein, um sich mit ihr zu einem Wesen zu verbinden. Aus dem Stand heraus wuchs die junge Frau einen Meter in die Höhe. Noch mehr Sand wirbelte auf, ich war gezwungen, den Kopf zu senken. Unter Hevovas Rock formte sich der Leib eines kräftigen Pferdes.
    Trotz ihrer enormen Größe war sie noch immer deutlich kleiner als Rin, ihre Beine schmaler und der Körper drahtiger. Sie reichte mir einladend die Hand. Ich nahm sie an und saß auf.
    »Du halten gut fest.«
    Sie stürmte los wie der Blitz. Ihre Hufe hoben sich kraftvoll vom festen Untergrund ab. Ich hatte Mühe,das Gleichgewicht zu halten. Doch nach einer Weile hatte ich den Dreh raus. Hevova war schneller als Rin. Viel schneller.
    Wir preschten vorbei an surrealen Steingebilden und folgten dem Leuchten des Sterns. Die Gebeine von Bisons pflasterten unseren Weg. Jetzt wusste ich, warum sie dieses Gebiet Bisonfriedhof nannten.
    In der Ferne erkannte ich vier schmale Felsenfinger, die über das steinerne Tal aufragten. Es sah aus, als gehörten sie zu einer Hand, die in den Himmel greifen wollte. Inmitten dieses Gebildes brannte ein großes Lagerfeuer, das mit den Sternen um die Wette leuchtete.
    Die meterhohen Flammen loderten so hell, dass sie die steinernen Finger in grelles Licht tauchten. Das war wohl der Grund, warum sie diesen Ort Hand des Himmels nannten. Jeder Finger deutete in eine andere Himmelsrichtung. Es schien, als würden sie den Horizont streifen.
    Ich hörte Stimmen von Männern. Gesang. Sie standen in einem Halbkreis um das Feuer herum. Ein Szenario, das mir vertraut vorkam. Es erinnerte mich an den Tänzer aus meinem Traum.
    Hevova hielt hinter der Felswand des südlichsten Felsfingers inne und ging auf die Knie, so dass ich absteigen konnte.
    »Du hier warten, der Ort nicht darf entweiht werden«, wies sie mich an. »Ich holen Rin. Du ihm dann alles erzählen.«
    »In Ordnung.«
    Ich war nervös. Die Anfeuerungsrufe wurden lauter, arteten in Schreie, Gelächter und Jubel aus. Es war verrückt. Eben diese Atmosphäre hatte ich in meinem Traum verspürt. Alles schien sich zu wiederholen.
    Über mir trieb ein starker Luftzug hinweg. Ich hob den Blick und entdeckte einen Geier, der sich auf einem kleinen Felsvorsprung niederließ. Interessiert beobachtete er mich.
    Mir war nicht ganz wohl zumute. Geier waren eigentlich Aasfresser. Aber hier gab es kein Aas. Noch nicht.
    Vorsichtig spähte ich hinter dem Felsen hervor. Hevova hatte sich in ihre menschliche Gestalt zurückverwandelt und unterhielt sich mit einem Mann, der am Rande des Geschehens stand.
    Dann lenkten die beiden Krieger in der Mitte des Halbkreises meine Aufmerksamkeit auf sich. Sie standen sich gegenüber, bedrohten sich mit Rufen und nahmen verschiedene Posen ein, um einander ihre Kraft zu demonstrieren. Hinter ihnen glühte das Feuer, und zwischen ihnen stand ein Mann in einer Fellrobe. Der aufwendige Federschmuck ließ mich vermuten, dass es sich bei ihm um den Siruwathi, den Häuptling des Stammes, handelte. Kein anderer Mann trug so viele Federn oder ein edleres Gewand als er.
    »Fu’ E’neya!«, rief er aus, riss seinen Stab in die Höhe und machte zugleich einen Schritt zurück.
    Als wäre dies ihr Startsignal gewesen, umkreisten sich die Männer in geduckter Haltung wie zwei Raubtiere. In der jeweils rechten Hand hielten sie einen Tomahawk. Die Flammen beschienen ihre Körper, die mit farbigen Motiven verziert waren. Der eine trug blaue Streifen, der andere rote Kriegsbemalung.
    Der größere der beiden Männer schoss wie ein Pumaauf den kleineren zu. Der wich mit einem lauten Aufschrei aus und hob drohend den Tomahawk über seinen Kopf. Dann attackierte er seinerseits. Er war wendiger, schneller und geschickter. Schon hatte er den Hünen an der Wade verletzt. Die Krieger schlossen den Kreis enger um die beiden Kämpfer, und es wurde schwieriger für mich, etwas zu erkennen. Alles war in Bewegung. Ein blauer Arm blitzte aus den Schatten auf. Jubel erklang. Hände flogen in die Höhe.
    Der größere Krieger sprang über die Köpfe der anderen hinweg, stieß dabei einen grollenden Kampfesschrei aus und sauste mit gesenktem Tomahawk auf seinen Rivalen herab.
    Wieder schrien die Männer auf. Applaudierten. Aber dann verstummten sie mit einem Mal, versteinerten förmlich. Es herrschte Totenstille. Nur mein Herz hämmerte laut bis in meinen Schädel. Was war geschehen? Die blaue Gestalt lag am Boden. Sie regte sich

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