Schattenreiter
Raubkatze durch das hohe Gras. Ihr Körper, jeder einzelne Muskel, war zum Zerreißen angespannt.
Plötzlich schoss ein Vogelschwarm aus dem Gras, direkt vor ihr, in die Luft empor. Ich zuckte vor Schreck zusammen. Auch Hevova machte einen Satz nach hinten. Kreischend zogen die Krähen über den Talkessel hinweg.
»Nur Tshirpen.« Hevova entspannte sich sichtlich und kehrte zu mir zurück. Sie baute sich vor mir auf und versperrte mir dadurch den Weg zum Dorf. Gelassen stützte sie sich auf ihrem Speer ab.
»Nie zuvor … waren Menschen hier. Wie du … uns … hast gefunden? Wer … dir den Weg gezeigt?«
»Ich habe ihn allein gefunden«, stammelte ich, denn ich wollte weder Isaac noch Roy in Schwierigkeiten bringen. Aber Hevovas Blick verriet, dass sie mir kein Wort glaubte. Ich war eine verdammt schlechte Lügnerin.Nicht umsonst behaupteten meine Mitmenschen, sie könnten in mir wie in einem offenen Buch lesen.
»Wenn … Ti’tibrin dich gesehen, ich dir nicht … helfen können. Sehr unvorsichtig und sehr unklug hierherkommen, Jorani.«
Sie strich sich die langen Haare aus dem Gesicht. Ihre Augen leuchteten so intensiv wie das Gefieder eines Raben. »Sag mir, warum du hier sein?« Hevova erinnerte mich ungemein an Rin. Nur war sie viel drahtiger als er. Dicke Sehnen zeichneten sich auf ihren Armen ab. Und doch rief ihr Anblick eine starke Sehnsucht in mir hervor.
»Ich suche Rin.«
»Warum? Er dir gesagt, dass er bei Me’solbrem ist. Du ihn nicht stören darfst.«
»Aber er ist in Gefahr.«
Ihre Augen weiteten sich. Das Funkeln wurde intensiver.
»Bitte, ich muss ihn sprechen. Bring mich zu ihm. Wir haben keine Zeit zu verlieren.«
»Er nicht hier.«
»Was?«
Ihr Blick blieb hart.
»Sag mir, von welche Gefahr du sprechen.« Der Griff um den Stab ihres Speers wurde fester, so dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten.
»Ich … hatte einen Traum. Er war so echt, dass mein Körper darauf Reaktionen zeigte. Ich bekam sogar Fieber. Rin lag am Boden, blutüberströmt. Seine Augen … oh Gott. Ich will nicht daran denken. Bitte, Hevova, ich bin sicher, dass ihm etwas zustoßen wird.«
»Wegen schlechte Traum du kommst her? Du noch verrückter, als ich gedacht.«
»Nein, es war kein normaler Traum. Es war eine Vision. Ich bin … eine Malhamota.«
Knurrend stieß sie das stumpfe Ende des Speers in den Boden und funkelte mich garstig an, als wäre es ein Sakrileg, dass ich mich so bezeichnet hatte. Ich fühlte mich mickrig neben ihr. Zuvor war mir nicht aufgefallen, wie riesig sie war. Ich hingegen schrumpfte vor Ehrfurcht vor ihr zusammen.
»Weißt du, welche Bedeutung Malhamota hat?« Ihre Stimme überschlug sich fast vor Zorn.
»Ja«, antwortete ich eingeschüchtert.
Ihr Brustkorb hob und senkte sich im raschen Rhythmus ihres Atmens. »Niemals, nie, war eine Menschenfrau eine Malhamota. Selbst von den Frauen des Dorfes es nur sehr wenige gibt, die Malhamota sich nennen dürfen. Man anderen fühlen muss, Empathie, ihn in sich hineinlassen. Das ist großer Moment, eine Ehre. Nur wenigen Ti’tibrin jemals zuteil gewesen. Du nicht sein kannst Malhamota.«
»Aber ich spüre, dass Rin in Gefahr ist.«
Sie schüttelte den Kopf. »Geh, geh fort. Komm nicht zurück. Los! Verrücktes Gaienmädchen.«
»Hevova, bitte.« Tränen stiegen mir in die Augen. Wie konnte ich sie nur überzeugen? Sie musste mir einfach glauben, mich zu Rin führen.
»Du nichts weißt von meinem Volk, nichts von Bräuche, von Geschichten. Was Rin dir erzählt, war nur kleiner Teil. Du arrogant, wenn du glauben, du wissen besser als jene, die vor vielen Kreisläufen gelebt und heute noch leben.«
»Nein, du verstehst das alles falsch. Bitte. Ich würde doch niemals hierherkommen, wenn ich keinen Grunddafür hätte.« Ich wollte ihre Hand nehmen, aber sie stieß mich zurück.
Ihr kühler Blick wanderte an mir herunter. »Ich dir sagen, wo Rin ist. Er mit den anderen nach Hokatriri gegangen. Zu Hand des Himmels. Fuga’a-tata-Skilarg. Ist heiliger Ort. Niemand darf betreten außer Ti’tibrin E’neya.«
»Dann musst du ihn für mich warnen, Hevova.«
Sie starrte mich ungerührt an. Nicht einmal ihre Mundwinkel zuckten. Sie nahm mich einfach nicht ernst, wahrscheinlich hielt sie mich sogar für hysterisch. Na schön, wenn sie mir nicht helfen wollte, vielleicht hatte ein anderer Kentaur ein Ohr für mich. Ich schob mich an ihr vorbei und hielt zielstrebig auf Ven’Callas zu. Doch Hevova holte mich sofort
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