Schattenriss
und Zähnezeigen. Aber es war eine Gratwanderung. Das war allen Beteiligten klar. Ein einziger Fehler, und die Situation konnte kippen. Und aus diesem Grund gebe ich Ihnen einen guten Rat , hörte Verhoeven einen imaginären Brennicke sagen. Machen Sie keinen Fehler, sonst ist Ihre Karriere schneller vorbei, als Sie gucken können .
»Wenn Sie mich nicht mit einer der Geiseln sprechen lassen ... Woher sollte ich dann wissen, ob Sie überhaupt noch etwas in der Hand haben, das Sie uns anbieten könnten?«
Noch , echote eine Stimme in Verhoevens Kopf. Als ob sie alle längst tot wären ...
»Ich fürchte, das werden Sie mir schon glauben müssen«, entgegnete der Mann, der sich Teja nannte, genauso ruhig wie zuvor.
»Ach, wissen Sie, ich fand schon immer, dass das so eine Sache ist mit dem Vertrauen ...« Goldstein riss sich das Basecap vom Kopf und fuhr mit der freien Hand durch seine Stoppelhaare. In der entgegengesetzten Ecke von Walther Liesons Wohnzimmer arbeiteten die beiden Kommunikationstechniker fieberhaft daran, den Anruf zurückzuverfolgen. Goldstein blickte kurz zu ihnen hinüber, während er seinem Gesprächspartner gegenüber einen gänzlich neuen Tonfall anschlug. »Aber gut, nehmen wir einfach mal an, ich glaube Ihnen ...«
Wieder eine kurze Pause, doch auch dieses Mal beging der Geiselnehmer nicht den Fehler, die Gesprächsführung an sich zu reißen. Er wartete, im Gegenteil, geduldig ab, bis Goldstein von sich aus weitersprach.
Dieser Kerl ist entweder verdammt abgebrüht oder er ist sich seiner Sache zweihundertprozentig sicher, dachte Verhoeven, indem er nach Goldsteins Aktendeckel schielte. Mitten auf die hellgrüne Pappe hatte der Unterhändler in seiner kaum leserlichen Handschrift die Worte: KENNT DEN GESCHICHTLICHEN HINTERGRUND SEINES NAMENS gekritzelt.
Verhoeven runzelte die Stirn.
Er hätte liebend gern gewusst, was Goldstein zu dieser Schlussfolgerung veranlasst haben mochte. Denn immerhin hatte der Mann, der sich Teja nannte, auf die despektierliche Anrede in keiner Weise reagiert. Er hatte sich weder dazu verleiten lassen, den falschen »Hunnenkönig« in einen richtigen »Gotenkönig« zu korrigieren, noch hatte er auch nur die geringste Verärgerung über den abfälligen Ton gezeigt, den Goldstein ihm gegenüber angeschlagen hatte. Und doch stand dieser Satz zweifach unterstrichen auf Goldsteins Aktendeckel: KENNT DEN GESCHICHTLICHEN HINTERGRUND SEINES NAMENS ...
»Angenommen also, ich glaube Ihnen, dass alle Geiseln wohlauf sind«, wiederholte Goldstein. »Was bekomme ich dafür?«
»Sie?«
»Ja, ich.«
»Keine Ahnung.«
Es klang fast, als ob der Geiselnehmer lächelte, während er sprach.
Er benutzte keinen Stimmenverzerrer, und Verhoeven dachte, dass jemand, der irgendwann einmal näher mit ihm zu tun gehabt hatte, die Stimme unter Garantie wiedererkennen würde. Vermutlich hätten wir mehr als nur einen Treffer, wenn wir eine Sequenz aus diesem Gespräch bei Aktenzeichen XY senden würden, dachte er. Das Problem ist nur, dass wir nicht genug Zeit haben. Und leider ist die Zeit der alles entscheidende Faktor in diesem Fall. Wir brauchen Zeit, um herauszufinden, wo sich die Geiseln befinden. Andererseits verschärft jede Stunde, die vergeht, die Situation der Entführten. Und jede Verschärfung erhöht die Gefahr einer Eskalation .
Goldsteins eigene Worte ...
»Ich weiß nur, was wir bekommen«, lenkte die Stimme des Entführers Verhoevens Aufmerksamkeit wieder auf das Hier und Jetzt. »Und das sind zwei Millionen.«
Plus den Kopf des Filialleiters auf einem silbernen Tablett, ergänzte Verhoeven in Gedanken, zumindest wenn es danach geht, was ihr gern hättet!
»Zwei Millionen sind übrigens echt bescheiden«, bemerkte derweil Goldstein, während seine Adleraugen zum wiederholten Male in die entgegengesetzte Ecke des Raumes wanderten. Herrgott noch mal, was ist denn jetzt?, fragte er stumm in Richtung der beiden Kommunikationstechniker. Habt ihr ihn?
Doch der Ältere der beiden schüttelte nur den Kopf, während sein junger Kollege mit einer Reihe von fahrigen Gesten auszudrücken versuchte, dass es sich seiner Einschätzung nach nur noch um Sekunden handeln konnte.
Der erfahrene Unterhändler schlug die Beine übereinander. »Zwei Millionen Euro für sieben Personen ... Das ist’n echtes Schnäppchen, wenn Sie mich fragen.«
»Finden Sie?«
Goldstein tauschte einen Blick mit Monika Zierau.
Vorsicht , las Verhoeven in den Kohlenaugen der Psychologin. Geh bloß
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