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Schattenriss

Schattenriss

Titel: Schattenriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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es so weit ist, nehme ich meine Jungs mit.«
    War das ein Hauch von Interesse in seinen Augen?
    Meine Jungs ...
    Tja, eigentlich sehe ich wohl nicht so aus, als ob ich einen Stall voller Kinder hätte, dachte Winnie Heller amüsiert. Laut sagte sie: »Oder glauben Sie, dass Fische im Handgepäck gar nicht erlaubt sind?«
    Er schien nicht zu wissen, ob sie das ernst meinte oder ihn hochnahm.
    »Ich meine, heutzutage dürfen Sie ja nicht mal ’ne Dose Haarspray mit in den Flieger nehmen, stimmt’s? Aber den Frachtraum kann ich den Jungs auf gar keinen Fall zumuten. Da kriegen sie vor lauter Schreck noch einen Herzinfarkt und ...«
    Die Reaktion des jungen Geiselnehmers kam so unerwartet, dass Winnie Heller erschrocken nach Luft schnappte. Er machte einen Schritt auf sie zu, packte sie bei den Schultern und riss sie auf die Beine.
    »Halt endlich dein verdammtes Maul, verstanden?«
    Ja doch, dachte Winnie Heller, okay, ist schon klar! Ich halte mein verdammtes Maul. Ihr Blick suchte seine Augen hinter der Maske, die groß und verloren wirkten. Schon gut, schon gut, mein Junge, dachte sie, ich bin still.
    Zumindest vorläufig ...
     
     
     

4
     
    »Bei Lieson.«
    »Wer spricht da?«
    »Und Sie sind ...?«
    »Sie wissen genau, wer ich bin.«
    »Ach ja, richtig. Der Hunnenkönig, nicht wahr?«
    Verhoeven hielt den Atem an. Richard Goldstein hatte im Vorfeld dieses lang erwarteten Anrufs nichts über seine Taktik verraten. Auch nicht, ob er überhaupt eine hatte. Doch dass der Unterhändler gleich von Beginn an derart in die Vollen ging, was das Provozieren betraf, wunderte Verhoeven. Das hier ist kein Spiel, dachte er, und mit ein paar Sekunden Verzögerung wurde ihm klar, dass Werner Brennicke am Abend zuvor genau dasselbe gesagt hatte.
    Trotzdem sollten wir es gewinnen, meinen Sie nicht?
    »Richtig geraten.« Die Stimme des Geiselnehmers klang ruhig. Offenbar ließ er sich von der versuchten Provokation in keiner Weise beeindrucken. »Und wer, wenn ich fragen darf, sind Sie?«
    »Mein Name ist Richard Goldstein.«
    Pause.
    Warum sagt der Kerl nichts?, dachte Verhoeven, während der Raum um ihn herum vor Spannung zu vibrieren begann. Warum drückt er nicht aufs Tempo? Wieso verlangt er nicht wenigstens, Inger Lieson zu sprechen? Und warum stellt er keine Fragen?
    »Goldstein, hm?«
    »Genau. Ich bin der Kerl, den das BKA dazu abgestellt hat, die Rahmenbedingungen für die Freilassung der Geiseln mit Ihnen auszuhandeln.«
    »Unsere Forderungen sind Ihnen bekannt«, entgegnete der Mann, der sich Inger Lieson gegenüber als Teja vorgestellt hatte. »Es gibt nichts zu verhandeln.«
    »Ach, kommen Sie«, sagte Goldstein. »Sie wissen doch, wie so was läuft ...«
    Er streute abermals eine kurze Pause ein, doch der Mann am anderen Ende der Leitung tat den anwesenden Beamten nicht den Gefallen, auf diese – von Goldstein sehr wohl mit Vorbedacht geäußerte – Bemerkung einzugehen. Und auf den Subtext, den sie suggerierte. Sie wissen doch, wie so was läuft. Sie wissen es, weil Sie Erfahrung haben. Denn das hier ist nicht Ihr erster Überfall. Und möglicherweise ist es auch nicht Ihre erste Geiselnahme .
    Goldsteins Adleraugen fixierten einen Punkt in Verhoevens Rücken. »Bevor ich Ihnen irgendetwas anbieten kann, muss ich mich vergewissern, dass die Geiseln wohlauf und am Leben sind«, fuhr er in lockerem Ton fort. »Das ist Ihnen doch wohl klar.«
    »Ja, durchaus.«
    »Gut, dann machen Sie sich und mir das Leben leicht, und lassen Sie mich mit einer der Geiseln sprechen, okay?«
    »Nein.«
    Das klang kategorisch.
    »Nur ein paar Worte.«
    Schweigen.
    »Sie wählen jemanden aus. Ich frage denjenigen, wie es ihm und den anderen so geht. Die Geisel antwortet. Und anschließend können wir unser Gespräch in aller Ruhe fortsetzen.«
    »Ich habe nein gesagt.«
    Da ist keine Spur von Aggression in seiner Stimme, dachte Verhoeven. War das nicht eigentlich erstaunlich? Immerhin hatte dieser Mann sieben Geiseln in seiner Gewalt. Sieben Menschen, die beaufsichtigt werden mussten. Und das nun schon seit über achtzehn Stunden. War es da nicht naheliegend, dass bei den Entführern allmählich die Nerven blank lagen?
    »Sie müssen auch meinen Standpunkt verstehen.« Goldstein nahm das Telefon in die andere Hand. An seinem nackten Unterarm waren die Sehnen bis zum Zerreißen gespannt.
    Kein Zweifel, der erfahrene Unterhändler beherrschte das Spiel aus dem Effeff, den rasanten Wechsel aus Fordern und Zurückstecken, aus Defensive

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