Schattenriss
an, als es den Anschein hat«, schloss Goldstein.
Der Glatzkopf nickte. »Tja, so könnte man das ausdrücken.«
Goldsteins Miene spiegelte Genugtuung. »Das dachte ich mir.«
»Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, dass er sich durch den Stress zu einer Kurzschlusshandlung hinreißen lässt?«, wandte sich Hinnrichs, dem die Zufriedenheit in den Augen des studierten Soziologen ganz offenbar missfiel, an Monika Zierau.
Die Psychologin legte den Kopf schief und überlegte einen Augenblick. »Ein Mann wie dieser Teja neigt normalerweise nicht zu Kurzschlussreaktionen. Außerdem telefoniert er nicht von seinem Versteck aus, was die Möglichkeit, aus einer spontanen Laune heraus Schaden anzurichten, auf ein Minimum reduziert.« Die kohlenschwarzen Augen der Profilerin wandten sich Goldstein zu. »Was du jedoch auf keinen Fall als Freibrief auffassen solltest.«
Der Unterhändler stieß ein freudloses Lachen aus. »Und?«, fragte er mit herausfordernd vorgerecktem Kinn. »Was rät mir die Frau Diplompsychologin stattdessen?«
»Gib ihm das Gefühl, dass es nach ihm geht«, entgegnete Monika Zierau, an der die Provokation einfach abzuperlen schien. »Lass ihn glauben, dass er eine reelle Chance hat, heil und mit dem, was er haben will, da rauszukommen.«
»Genau das hat er aber nicht«, versetzte Goldstein.
»Das musst du ihm ja nicht unbedingt auf die Nase binden.«
Der Unterhändler griff nach seinen Zigaretten. »Dieser Kerl ist nicht dumm«, sagte er anstelle einer Antwort. »Und eines haben definitiv alle Geiselnehmer gemeinsam: Wenn sie auch nur den leisesten Verdacht hegen, dass man sie verarscht, drehen sie durch.«
Monika Zierau lächelte dünn. »Teja die Wahrheit zu sagen dürfte wohl kaum in Frage kommen«, konterte sie. »Und ob er dich durchschaut oder nicht, kommt in erster Linie auf deine schauspielerische Leistung an.«
Goldstein rührte in seiner halbleeren Kaffeetasse. »Da bin ich mir nicht so sicher«, sagte er leise. Und nach einem Moment des Überlegens fügte er hinzu: »Bei einem Mann von seiner Intelligenz sollte man sehr genau abwägen, wann man lügt. Und wann man es besser bleiben lässt.«
Monika Zierau ließ ihren Collegeblock sinken. »Was hast du vor?«
Werner Brennickes Erscheinen entband Goldstein von einer Antwort auf die argwöhnische Rückfrage seiner Profilerin. Der BKA-Mann hatte sich umgezogen, wie Verhoeven befremdet feststellte, und trug jetzt ein lupenrein weißes Hemd zum schwarzen Anzug. »Ich wurde noch aufgehalten«, verkündete er, als sei er der Ehrengast einer Veranstaltung, bei der alle Anwesenden einzig und allein auf sein Erscheinen warteten. »Haben die Entführer sich schon gemeldet?«
Goldstein blies einen Schwall Rauch in die Luft. »Nein, noch nicht.«
Brennicke schien erleichtert zu sein. »Gut, gut«, sagte er, indem er einen Blick auf seine Armbanduhr warf. »Und wie lautet Ihre Strategie?«
Goldstein schenkte ihm ein mitleidiges Lächeln. »Ach wissen Sie, ich bin grundsätzlich kein großer Freund von Strategien.«
»Nicht?« Werner Brennicke zupfte seine Manschetten zurecht. »Manchmal können sie durchaus von Nutzen sein.«
»Ich lasse mich lieber von meiner Intuition leiten«, entgegnete Goldstein.
»Ja«, sagte Brennicke. »Davon habe ich gehört.«
Er hatte ganz beiläufig gesprochen. Nichtsdestotrotz erzielte die Bemerkung genau die Wirkung, die der BKA-Mann beabsichtigt hatte: Die Anwesenden horchten auf, Köpfe wandten sich Goldstein zu, Aufmerksamkeit, vereinzelt auch offenes Misstrauen.
Was soll das heißen?, las Verhoeven im Blick des glatzköpfigen Stimmenanalytikers. Was meint der Kerl damit?
Monika Zierau zog die Brauen hoch. Diese Sache von damals wirst du nicht mehr los , sagten ihre Kohlenaugen, doch Goldstein ignorierte den Blick seiner Profilerin, genau wie er all die anderen Blicke ignorierte. Die fragenden genauso wie die wissenden. Sein Gesicht spiegelte einen Ausdruck von Härte, den Verhoeven noch nie zuvor an ihm bemerkt hatte. Härte und Arroganz ...
Und einmal mehr stellte er sich die Frage, ob es ein gutes Omen war, dass der studierte Soziologe ausgerechnet über eine Geiselnahme promoviert hatte, die so schiefgelaufen war, wie eine Sache nur schieflaufen konnte.
Das Klingeln des Telefons schnitt seine Überlegungen in Stücke.
»Ja?«
»Ich bin’s.«
»Sie sind spät dran, mein Freund.«
»Verzeihen Sie«, entgegnete der Mann, der sich Teja nannte, mit beißender Ironie. »Vielleicht geht meine Uhr
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