Schattenriss
fühlte sich in diesem Augenblick so verraten wie selten zuvor in seinem Leben. Es ist nicht mehr als eine Theorie gewesen, dachte er. Die Annahme, dass die Geiselnehmer möglicherweise nur den Decknamen jener Person kennen, die sie suchen, ist bis zu diesem Moment nichts als ein Gedankenspiel gewesen. Mein Gedankenspiel, um genau zu sein. Und dieses arrogante Arschloch von Unterhändler wagt es, damit zu bluffen. Ausgerechnet damit!
Verhoeven spürte Hinnrichs’ Blick wie einen Dolch in seiner Flanke, als er seine zitternden Hände ineinander schlang. Ich will nicht schuld sein, hämmerte es hinter seiner Stirn. Nicht so. Nicht, ohne vorher gefragt worden zu sein. Schließlich geht es hier um Winnie. Um ihr Leben. Und um das Leben der anderen Geiseln. Wie um alles in der Welt konnte Goldstein es wagen ...
»Ich bin beeindruckt«, unterbrach die Stimme des Mannes, der sich Teja nannte, seine stumme Wutrede. »Offenbar verstehen Sie Ihren Job.«
Gütiger Gott, es funktioniert!, dachte Verhoeven mit einer Mischung aus Verwunderung und Erleichterung. So riskant dieser Schuss ins Blaue auch gewesen ist – er hat ganz offensichtlich getroffen!
Tja, mien Jung, so läuft dieser Job nun mal, schien der Blick zu sagen, mit dem Richard Goldstein ihn bedachte . Sie analysieren das Blatt, das Sie in der Hand halten, und selbst wenn es der größte Mist ist, tun Sie so, als ob Sie nur noch Millimeter von einem triumphalen Sieg entfernt sind.
Monika Zieraus Lippen, aus denen in den letzten Sekunden sämtliche Farbe gewichen war, formten stumm die Worte: Leg nach!
Und dieses Mal hielt sich Goldstein an den unausgesprochenen Rat seiner Profilerin. »Ich kann beweisen, was ich sage.« »Ach wirklich?«
»Ja.«
»Und wie?«
»Ich biete Ihnen den Namen der Person, die Sie suchen, gegen das Leben der Geiseln«, vermied es Richard Goldstein indessen mit einem geschickt platzierten Angebot, die Frage des Geiselnehmers zu beantworten. »Den Namen plus die geforderten zwei Millionen.«
Tejas Reaktion bestand aus einem bedrückenden Schweigen. »Sind Sie einverstanden?«
Nichts.
»Ein Wort von Ihnen, und ich schicke sofort einen meiner Männer an jeden Ort, den Sie mir nennen.« Goldstein rammte die Zigarette, die er noch immer in der Hand hielt, in den Aschenbecher in der Mitte des Tisches. Dabei fiel etwas von der Asche auf das Phantombild der Frau, die Inger Lieson auf einem Empfang im Staatstheater gesehen zu haben glaubte.
Sie ist mir aufgefallen, weil ich das Gefühl hatte, dass sie meinen Mann anstarrt ...
Verhoeven schloss die Augen.
Sie sind hinter dem Falschen her, mein Freund.
Am anderen Ende der Leitung herrschte noch immer Totenstille.
Richard Goldstein sah zu seinen Kommunikationstechnikern hinüber. Der ältere von beiden reckte den rechten Daumen in die Höhe zum Zeichen, dass die Mobilfunkverbindung zu dem Entführer nach wie vor stand.
Der Unterhändler nickte. »Hey, Hunnenkönig, hat’s Ihnen die Sprache verschlagen, oder brauchen Sie Bedenkzeit?«
»Sie lügen.« Die beiden Worte knallten aus den Lautsprechern wie ein Peitschenhieb. »Ich fühle es.«
Goldstein legte beide Hände in den Nacken und sah zur Decke hinauf. »Was den Klarnamen betrifft, haben Sie recht«, bekannte er vollkommen ernsthaft. »Aber was bleibt mir übrig? Sie wissen doch sicher aus eigener Erfahrung, wie langsam die Mühlen der Behörden gemeinhin mahlen. Da braucht es selbst bei unsereinem und unter der Prämisse höchster Dringlichkeit eine gewisse Zeit, bis die entsprechenden Informationen ausgegraben sind.«
Was für ein brillanter Schachzug, dachte Verhoeven. Gib die eine Lüge zu, um von der anderen abzulenken. Und erst die Formulierung, die Goldstein gewählt hatte: Die Mühlen der Behörden . Damit konnte alles Mögliche gemeint sein, vom Auswärtigen Amt bis zur Birthler-Behörde. Nichtsdestotrotz blieb das, was der Unterhändler da gerade veranstaltete, ein faustdicker Bluff. Sie hatten nicht die geringste Ahnung, wo sie suchen sollten. Und wenn der Mann, der sich Teja nannte, jetzt nicht den Fehler beging, es ihnen durch irgendeine unbedachte Äußerung zu verraten ...
»Sie können mich nicht täuschen.«
Das klang definitiv nicht nach einer unbedachten Äußerung! Zu Verhoevens Erstaunen lächelte Goldstein. »Ich weiß.« »Warum versuchen Sie’s dann?«
»Das tue ich gar nicht. Aber soll ich Ihnen was verraten? Hier sind tatsächlich einige Leute, die mich liebend gern vom Gegenteil überzeugen
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