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Schattenriss

Schattenriss

Titel: Schattenriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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bleibt ein Freund, selbst wenn es der beste ist. Und eine Mutter bleibt eine Mutter.
    Er blickt an sich hinunter und überlegt, wie er wohl auf sie wirken wird. Ob man ihm ansieht, was er macht. Oder nicht macht. Wie er lebt. Seltsamerweise hat er bis zu diesem Augenblick nie darüber nachgedacht, dass sie ihn so etwas fragen könnte. Dass es jemanden, dass es sie interessieren könnte, womit er seine Zeit verbringt, sein Geld verdient, was für Träume er hat. Oder Alpträume ...Lenk nicht ab! Tu es einfach!
    Immerhin wartest du doch schon dein ganzes Leben darauf, es zu tun!
    Er atmet noch einmal tief durch und drückt auf den klebrigen Klingelknopf.
    Dann steht er da und starrt auf die Tür. Zehn Sekunden. Fünfzehn. Zwanzig. Doch außer dem heiseren Gebrüll der betrunkenen Frau über ihm bleibt alles still.
    Und noch einmal die Klingel. Zweimal. Dreimal.
    Einkaufen? Verreist? Oder schwerhö...
    »Ja?«
    Definitiv zu verzerrt für einen ersten Eindruck, trotzdem klingt sie nett, findet er. Warm und sensibel.
    »Frau Bennet?«
    Schweigen.
    Warum zögert sie jetzt?
    Oh, nein, denkt er, und er merkt, wie ihm kalt wird. Bitte, nicht das! Nicht so! Nicht ausgerechnet jetzt! Bitte lass es keine andere sein, keine Freundin, die erst eine Weile pietätvoll schweigt und dann verkündet, es täte ihr entsetzlich leid, aber Frau Bennet sei bedauerlicherweise vor ein paar Tagen ...
    Aber plötzlich doch noch: »Ja.« Dann: »Wer sind Sie? Was wollen Sie?«
    Wer ich bin? Er kann sich kaum zurückhalten, es ihr zu sagen, sich und seine Identität mitten in diese versiffte Gegensprechanlage zu brüllen, aber irgendwie hat er Angst, sie damit zu erschrecken. Und auch Angst, dass sie ihm nicht glaubt. Angst, dass sie ...
    »Hallo?«
    »Ja, ich ...« Warum, denkt er, ist auf einmal alles so entsetzlich kompliziert? Müsste es denn nicht eigentlich einfach sein? Einfach und selbstverständlich? »Mein Name ist M...« Jetzt hat er doch tatsächlich Maik sagen wollen, den Namen, den irgendein Fremder ihm gegeben hat, jemand, für den er von Beginn an nichts als eine Nummer gewesen ist. Eine Akte. Ein Vorgang, den es zu erledigen gilt. Irritiert sieht er noch einmal auf ihre Klingel, bevor er sich mit wiedergefunden fester Stimme korrigiert: »Ich heiße Teja. Und ich ... Könnte ich Sie vielleicht kurz sprechen, bitte?«
     

FÜNFTER TEIL

Wiesbaden, 15. März
     
     
     
    1
     
    Um exakt 17 Uhr 09 begann Richard Goldstein auf der Kappe seines Kugelschreibers herumzukauen, das einzige sichtbare Zeichen seiner Nervosität. Eine halbe Stunde vor Ablauf des Ultimatums hatte er den Raum verlassen und war etwa zehn Minuten fortgeblieben. Einen Hauch zu lange, um einfach nur auf der Toilette gewesen zu sein, wie Verhoeven fand, und einmal mehr ertappte er sich dabei, wie er den erfahrenen Unterhändler beobachtete. Wie er nach Alarmzeichen suchte, nach irgendetwas, das darauf hindeutete, dass Goldstein in der Zeit seiner Abwesenheit zur Flasche gegriffen oder ein Beruhigungsmittel geschluckt hatte. Doch bis auf die Kauerei auf der Kugelschreiberkappe entdeckte er keinerlei Auffälligkeiten.
    »Warum ruft er nicht an?«, fragte Hinnrichs.
    »Das wird er.« Monika Zierau schlug die Beine übereinander, doch es sah eher unbequem als elegant aus.
    »Wann?«, fragte Hinnrichs.
    Goldstein zuckte mit den Achseln. »Vielleicht wurde er aufgehalten.« Er warf den Kugelschreiber auf den Tisch und blickte Luttmann an. »Wie weit ist die Spurensicherung in diesen Schrebergärten?«
    Der junge Softwarespezialist unterbrach seine Tipperei und drehte sich zu ihm um. »Sie sind dran, okay?«
    »Nein«, sagte Goldstein. »Das ist nicht okay. Ich brauche mehr Informationen.«
    Luttmann zog seine milchzarte Stirn in Falten. »Die Kollegen tun wirklich, was sie können.«
    »Vielleicht ist das nicht genug«, versetzte Goldstein, und in der Art, wie er das sagte, blitzte unvermittelt wieder jene Arroganz auf, von der er selbst gesprochen hatte. »Wir können ausschließen, dass der Kerl dort draußen jemanden erschossen hat«, sagte er, wie um sich selbst noch einmal der Fakten zu versichern. »Nichtsdestotrotz haben wir alle einen Schuss gehört.«
    »Wir haben die Bänder vom ersten Anruf analysiert«, meldete sich ein unscheinbarer junger Mann mit Glatze und einem winzigen blonden Ziegenbärtchen aus einem anderen Teil des Wohnzimmers zu Wort. »Tejas Stresspotenzial während Ihres Telefonats heute früh war erheblich.«
    »Also ficht ihn die Sache mehr

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